Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel
gar nicht in den Sinn kam, weil er wusste, dass bei allem, was sie in Kauf nahmen, Nasenhaare völlig egal waren.
Ana setzte sich neben ihn. Sie breitete das Handtuch aus. Sie löste ihren BH. Sie zog den weiß schimmernden Slip aus und legte sich seitlich hin.
Ohlrogge bewegte sich in die Mitte des Bettes. Er kniete neben ihr. Er strich über einen feingliedrigen Fuß mit rosa lackierten Nägeln. Sensibler, wohlgeformter großer Zeh, dachte er. Manche Frauen hier hatten klobige, fast viereckige oder kartoffelfförmige, manchmal hammer- und krallenartige große Zehen mit Hühneraugen, da nutzte auch der Lack nichts mehr wie bei Sylwia, aber dieser große Zeh war wirklich unbeschreiblich schön, wie Ohlrogge empfand.
Er ließ seine Hand über ihre Beine gleiten. Über den Bauch bis zu den Brüsten, die klein waren. Marquez fiel ihm ein, Ohlrogge hatte ein Buch von Gabriel Garcia Marquez gelesen, in dem ein Mädchen knospende Brüste hatte, die von einer heimlichen Energie bedrängt schienen, kurz vor dem Ausbruch. Besser konnte man es nicht sagen und diese Frau hatte solche heimlichen Marquez-Brüste.
Er ließ beide Hände weiter über ihren Körper gleiten. Hoch bis zum Hals. In die Haare. Zum Mund. Dieser kleine schiefe Zahn oben links in ihrem leicht geöffneten Mund! Er drückte ihr Becken leicht zur Seite, sodass sie auf dem Rücken lag. Ohlrogge öffnete ihre Schenkel. Er zog sie an sich heran. Er gedachte nun gleich einzudringen.
Ana griff nach dem Vaselin und dem Kondom in ihrer Tasche. Die Gesichtszüge ihrer Freier zeichnete sie schon lange nicht mehr, mit Licht und Schatten hatte sie nie Fortschritte gemacht. Sie sah auch nicht mehr hin, sondern schloss die Augen, wenn die Männer über ihr kamen und dann stöhnend auf sie heruntersanken. Doch welcher Ausdruck wohl auf dem Gesicht eines Malers liegen würde, oder war ein Maler hier auch nur ein ganz gewöhnlicher Mann, dem bei einer jungen, nackten Frau alles andere in den Sinn kommen würde als Malerei und Licht und Schatten? Sie sah ihn an. Wie selig er über sie kam. Marija, dachte sie, sie glaubte wirklich, sie sähe das Lächeln der toten Freundin, das auf ihrem Gesicht geblieben war, nachdem sie in der Grube gespielt hatten - damals, als Ana und Marija Kinder waren.
Es war draußen vor der Stadt gewesen. Eine hohe Sandwand löste sich und verschüttete die beiden. Ana bis zum Mund, ihre Freundin erstickte. Bei dem Begräbnis sah Ana sie in einem kleinen Sarg liegen und versuchte noch in der Kirche, das Lächeln und die erstarrte Seligkeit zu zeichnen. Wenn sie das Lächeln festhielte, stellte sich Ana vor, dann würde ihre Freundin es für immer behalten. Danach zeichnete sie Katzen und Tauben, die sie tot in den Straßen vorgefunden hatte. Sie blieb oft abends mit ihrem Block stehen, wenn sie Menschen sah, die in Kartons und Decken gehüllt wie leblos in den Hausecken lagen. Später, als sie ihre Mutter zum Putzen begleitete, lief sie durch die großen, fremden Wohnungen. Einmal fand sie einen betrunkenen Mann vor. Mit offener Hose und Schuhen lag er im Bett, schlief, und Ana zeichnete ihren ersten Akt. Sie wollte nun immer mit zum Putzen, weil sie hoffte, weitere Männer vorzufinden, vielleicht sogar ihren Vater, der irgendwo in der Stadt lebte. Ihre Mutter kam aus einer deutsch-baltischen Familie, putzte auch Wohnungen von hohen Diplomaten und verehrte Gorbatschow. Als er einem Putsch zum Opfer fiel, begann ihre Mutter auf Deutsch Tagebuch zu schreiben über das Leben einer Putzfrau im Zusammenbruch der Sowjetunion. Ihre Mutter hielt sich für eine der letzten russischen Putzfrauen, sonst putzten nur noch Ausländerinnen.
Die nächsten zwanzig Minuten umfasste sie Ohlrogges Männlichkeit wie einen verängstigten Vogel. Er selbst hatte es nicht bemerkt. Er dachte, er wäre bereit. Er hatte sie schon in Gedanken bestiegen, umfasst, genossen, besessen, aber nun sah er, wie sie sich kümmerte. Sie rieb hoch und runter. Sie streichelte. Sie versuchte das Kondom mit dem Mund herunterzuziehen, überzustreifen, doch jedes Mal verkroch sich der Vogel in sein Nest.
Was sollte auch dieser ganze Mist mit dem Retten, mit der Verlorenheit in dieser Welt, mit den Marquez-Brüsten, dachte Ohlrogge. Kein Wunder, dass man bei diesen Überhöhungen nicht hinterherkam! Vielleicht hemmte ihn auch die Kückgeschichte und dass er eigentlich immer noch auf dieses verdammte Gefühl der Genugtuung wartete, das ihn endlich befriedigen und befreien sollte,
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