Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel
Augenhöhe ihres vielleicht ersten Kunden zu kommen, dabei schoben sich Ohlrogge Beine entgegen, wie er sie noch nie gesehen hatte.
»Ich bin Paula«, sagte Ana. In Hamburg hatte man sie »Olga« genannt, da durfte sie sich keinen Namen aussuchen. Sie streckte dem Gast die Hand entgegen und berührte mit ihrem Bein beiläufig das seinige, fast wie mit einem Flügelschlag.
»Paula ...Verb nicke ...«, sagte Ohlrogge und griff schnell nach seinem Whiskyglas, das on tue rocks vor ihm stand.
»Die Malerin. We can talk in German. No Problem«, erklärte Ana und sah ihn an.
»Die Malerin ... Fantastisch ...«, sagte er, obwohl die Frauen hier in der Regel Vanessa, Michelle, Danielle, Ivonne oder Coco hießen und nicht Paula. Bei Paula dachte er eher an ein schwieriges Eheleben mit Otto Modersohn, an die Flucht nach Paris und an die sieben Tage bei ihm im Emanzipationshaus, aber für die abtörnende Worpsweder Kunstgeschichte war es zu spät: Ohlrogge hatte in diese Frau schon alles hineinprojiziert, was ein Mann in dreißig Sekunden in eine Frau hineinprojizieren konnte. Dieses Wesen musste er retten!
»Ich lebe in Paulas Haus ...Also, Paula lebte in meinem Haus! Ich bin auch Maler ... Painter!«, sagte Ohlrogge und hielt kurz inne, weil er hier seit Jahren als Arzt auftrat.
»Dein Name?«, fragte sie.
»Anton«, er hätte am liebsten gleich »Peter« gesagt. Wenn er schon »Maler« sagte, hätte er auch »Peter« sagen können, aber »Anton« hieß er hier nun einmal, das war auch bei Sylwia, Mariella, Carmen, Lilly, Chantal, Rabea oder Hanna und allen anderen so eingeführt. Und sogar bei Martha hieß er so, obwohl sie ja wusste, dass er nicht Arzt, sondern Mallehrer in den Hammewiesen war, und sicherlich wusste sie noch mehr, machte aber niemals Andeutungen oder stellte Fragen, sondern ließ ihm diese andere Welt im Club.
»Anton«, sagte Ana. »Anton ist schön.«
Um ihren Körper weiterhin betrachten zu können, ohne dabei gleichzeitig Sätze bilden zu müssen, nahm Ohlrogge wieder sein Whiskyglas.
Scheiße, gleich kommen die Parkinsons, dachte er, die kommen bestimmt! Wenn er jetzt trank, musste er auch Paula zu einem Schampus einladen, das war nicht nur teuer, sondern in der Zeit würden auch die Parkinsons hier einbrechen und diese Frau wahrscheinlich sofort vom Stuhl reißen.
»Magst du ins Zimmer?«, fragte er direkt.
»Gut«, sagte sie und stand auf.
Ohlrogge führte noch schnell sein Glas zum Mund. Er wollte möglichst so trinken, wie man in Filmen trank, und schüttete alles hinunter.
Ana hatte bei Martha bereits einen Zimmerschlüssel geholt und lief auf die Tür in der Pornowand zu.
Ohlrogge stellte das Glas ab. Er brannte und folgte der Frau.
Nullkück will die Augen nicht mehr schließen
In der Nacht begann Paul, die Kindheit zu begraben.
Wenn die Pfahlgründung abgeschlossen sein würde, müsste er noch mit den Maurern das Schließen der Wände durchsprechen, dann könnte er abreisen und den Verkauf des Hauses von Berlin aus betreiben, während Nullkück alles wieder schön herrichten würde: Gras säen, die Wände streichen, überall putzen. Hauptsache so schnell wie möglich verkaufen, das Geld nehmen und damit etwas anderes aufbauen, dachte Paul. Etwas Neues!
Er sollte sich lieber einen Makler nehmen, um nicht hier bei Nullkück sein zu müssen, wenn das Haus verkauft werden würde. Diesen Anblick könnte er nicht aushalten. All die stummen, schreienden Gedanken, wenn Nullkück seine Sachen packen müsste: die Zinnsoldaten, seinen Werkzeugkasten, die Schallplatten, das alte Nordmende-Gerät, sein Fernglas, die Landkarten, den Buchweizen und den Topf, die zwei Cordhosen. Wenn er den klobigen Computer mit den Landfrauen und der Flatrate für immer ausschalten würde, um danach in ein Heim gefahren zu werden. Wozu gab es denn Makler? Ein Makler sollte die Vergangenheit abwickeln und dabei kühl und sachlich all das bedenken, was bei so einem Verkauf wichtig war, die Provision könnte man auf den Preis draufschlagen.
Paul stand auf und lief durch das Haus. Er sah im Mondlicht, dass Nullkück immer noch vor sich hinstarrte in seinem durchhängenden Bett, seiner schützenden Mulde, zwischen den herumliegenden Ziegelsteinen und eingeschlagenen Wänden.
»Du musst in der Früh aus dem Bett raus. Dann kommen die Erdbohrer«, sagte Paul.
Er nahm Nullkücks Hand. Sie war ganz kalt.
»Weißt du, die müssen hier mit den Bohrern und Maschinen rein.«
Er wollte ihm eigentlich sagen, dass
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