Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Rinke
Vom Netzwerk:
auch das Bett ab, es muss lüften! Wenn Sie etwas Altes finden, schmeißen Sie es einfach weg. Man könnte Stapel bilden, es muss nicht alles einzeln herumliegen. Bringen Sie bitte, wenn es geht, Struktur in das Ganze!«
    »Struktur?«, fragte sie. »Was meinen Sie mit Struktur?«
    Das Letzte war vielleicht zu viel verlangt, dachte Ohlrogge. Er hatte sie schließlich zum Putzen bestellt, eine Grundreinigung war vereinbart worden, wie sollte sie da auch noch Struktur in das Ganze bringen, wo er ein Vierteljahrhundert dazu nicht in der Lage gewesen war? »Machen Sie, wie Sie denken. Ich freue mich, dass Sie da sind«, sagte er und rechnete: In circa zwei Stunden würde er zurück sein und dann seine alten Bilder umdrehen, entstauben, möglicherweise einige, wenn nötig, kurz nachkolorieren. Er würde sie draußen an die Wände lehnen, um das Haus herum, ins Licht, in die Wiesen, an den Baum stellen. Paula sollte ankommen und dann in sein Himmelswerk hineinlaufen!
    Er warf sein Fahrrad auf die Ladefläche. Er wollte direkt nach dem Transport und der Verabschiedung der Kisten weiter zum Friseur fahren, er hatte sich einen Termin geben lassen, um eins, mit Haarwäsche.
    Er setzte sich auf den Beifahrersitz und sah durch das Fenster auf sein Haus. Wie groß dieser Bronzemann war, bemerkte er. Ungeheuerlich, wie diese alte Zeit alles überragte.
    »Kriegen wir den noch mit?«, fragte er.
    »Schon wieder? Haben wir Ihnen doch gerade erst geliefert!«, sagte der Mann von Schnaars in unwirschem Ton.
    »Das war ein Irrtum«, erklärte Ohlrogge. »Passt der noch irgendwie drauf?«
    »Nee! Da müssen erst alle Kisten wieder runter. Das geht nicht in einer Ladung. Ihr Fahrrad da oben ist schon verboten«, antwortete der Mann.
    »Dann nicht«, winkte Ohlrogge ab. »Das nächste Mal, wir haben keine Zeit!«
    Hinter der Hamme-Brücke bogen sie nach rechts ab. »Immer weiter, bis ich stopp sage«, gab Ohlrogge Anweisungen.
    »Hier ist Naturschutzgebiet. Hier darf man nicht ohne Befugnis lang«, sagte der Fahrer, er hatte ein kreisrundes, fülliges Gesicht und sah mit den fein säuberlich nach rechts und links gekämmten Resthaaren aus wie die Rechtsprechung selbst.
    »Wir müssen eine Ausnahme machen, es ist wichtig«, Ohlrogge ließ keinen Widerspruch zu.
    Sie fuhren zwei Kilometer auf dem Sandweg, der sich an der Hamme entlang zog. Aus den moorigen Wiesen stiegen Brachvögel und Graugänse in den tief hängenden Himmel auf.
    »Stopp!«, rief Ohlrogge. »An dieser Stelle!« Der Lkw hielt an der Biegung des Flusses. »Und nun?«, fragte der Fahrer.
    »Nun laden wir ab«, erklärte Ohlrogge.
    »Hier? Hier darf man nicht abladen!«
    »Doch. Ich warte auf einen Kahn. Die Kisten werden auf dem Seeweg weitertransportiert.«
    Der Mann von Schnaars lud wortlos ab. Kiste neben Kiste stellte er direkt ans Ufer, und Ohlrogge verschloss sie mit dickem Klebeband. Die letzte Kiste, aus dem ihm wieder dieser Hustensaft entgegenfiel, bekam er nicht richtig zu, er verklebte sie mit dem Band, so gut er konnte.
    »Reichen Sie mir noch mein Fahrrad an«, sagte er. »Den Müll bitte entsorgen. Und die Rechnung nach Viehland, Viehländer Straße 11, Emanzipationshaus. Auf Wiedersehen.«
    Ohlrogge saß auf einer der Kisten am Ufer. Er sah ins vorbeifließende Moorwasser und wartete, bis der Lkw die Hamme-Brücke passierte und verschwand. Ein Marienkäfer landete neben ihm. Ein verfrühter Marienkäfer auf einer der Vergangenheitskisten, dachte er, das bringt Glück. Himmelmietzchen, Brautmännchen, Sonnenkäfer, Gottkäfer nannte man sie, die kleinen, kugelförmigen Wesen mit den roten oder gelb-braunen Flügeldecken und den Punkten. Dieser, der neben ihm saß, hatte tomatenrote, liebesrote Flügel mit sieben Punkten. Sieben, überlegte Ohlrogge: sieben Weltwunder, die sieben Zwerge, Sieben gegen Theben, über sieben Brücken musst du gehen, siebenmal wirst du die Asche sein, aber einmal auch der helle Schein. Das passte ja ein bisschen, allerdings war er schon eher über 7.000 Brücken gegangen und war genauso oft die Asche gewesen. Siebenmal lockt das Weib, am siebten Tag vollendete Gott die Welt, die sieben Paula-Tage in seinem Haus, vielleicht wiesen die Punkte auch in diese Richtung. Er nahm den Marienkäfer auf den Finger und wartete, bis er wegflog.
    Ohlrogge stand auf. Er hob die erste Kiste an, holte Schwung und warf sie, so weit er konnte, in die Hamme. Es dauerte keine sieben Sekunden, und sie war vollgelaufen und versank.
    Er nahm die zweite,

Weitere Kostenlose Bücher