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Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Rinke
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schießen können!«, ruft Ohlrogge.
    »Ist das eine Aktion? Wer ist das?«, fragt der andere blass.
    »Mein Exfreund«, sagt Johanna und starrt ihre frühere Liebe an, die nun ankündigt, bis drei zu zählen und dann selbst zu schießen.
    Statt sich mit einer Napoleon-Le-Page-Pistole vertraut zu machen, fragt der Neue, warum ihm Johanna nichts von einem Exfreund erzählt hat. »Welcher Exfreund?«, erkundigt er sich.
    Ohlrogge ist schon bei drei angekommen, als ihm deutlich wird, dass der andere Mann nicht einmal weiß, wer er ist! Und dass es Johannas alte Liebe nicht einmal mehr gegeben hat! Zudem wird ihm deutlich, dass der andere auf die Forderung zu schießen, nicht reagiert, im Gegenteil: Er holt sogar aufreizend ruhig bei Johanna Erkundigungen ein, so als rechne er nicht im Geringsten damit, gleich tot zu sein. Ohlrogge hebt seine Pistole und zielt.
    Dann fällt ein Schuss. Erst dieses Klacken, das Wegschlagen seines Arms, dann der Knall in den Ohren. Er sieht noch, wie Paul Kück langsam die Flinte senkt, danach: das Blut, das Loch, der jetzt einsetzende reißende Schmerz, die Atemnot.
    Ohlrogge verlässt den Garten und die Gesellschaft. Die Blutspur, die er zieht, verfolgt die Polizei bis in sein winziges Haus hinter dem Ortsrand.
     

Muttertelefonat Nr. 2 (Der Künstler des Jahrhunderts)
    Zum Abendbrot hatte es Buchweizenpfannkuchen gegeben und Nullkück spülte die Heinrich-Vogeler-Teller, als das Handy klingelte.
    »Stell dir vor, was gerade passiert ist!«, rief Pauls Mutter.
    »Der Kreisel! Bist du verunglückt?«, fragte Paul.
    »Nein, ich war gerade beim Briefkasten. Etwas Wundervolles!«
    »Was denn?«
    »Rate!« Sie war völlig aufgedreht.
    »Der amerikanische Präsident hat sich für dein Seminar angemeldet?« »Besser!« »Keine Ahnung.«
    »Den ganzen Tag schon lag der Brief im Kasten! Hätte ich das gewusst! Heute Morgen war mir nicht nach Post und nun das! Ich werde die Nacht nicht schlafen können vor Freude! Freu du dich auch!«
    »Worüber denn?«, Paul war schon wieder völlig angespannt, »Nun sag doch einfach, worüber?«
    »Unser Vater, dein Großvater, ist KÜNSTLER DES JAHRHUNDERTS!«, schrie seine Mutter, sodass auch Nullkück beim Spülen der Vogeler-Teller kerzengerade dastand und auf das Handy starrte, Paul hielt es erst einmal von seinem Ohr weg.
    »Was ist das?«, fragte er nach einer kleinen Pause, es klang irgendwie sehr gewaltig.
    »Was das ist?«, antwortete sie völlig außer sich. »Das ist eine der bedeutendsten Ehrungen, die man bekommen kann! Dein Großvater wird von der Künstlerkolonie Worpswede zum KÜNSTLER DES JAHRHUNDERTS ausgerufen, ich halte die Mitteilung gerade in der Hand!«
    »Nichts gegen Opa«, sagte Paul vorsichtig, »aber muss man nicht erst mal die ganzen anderen ausrufen, Paula Modersohn-Becker oder Heinrich Vo...«
    »Die waren doch schon!«, unterbrach sie ihn, »Opa ist der Siebte, der ausgerufen wird! Ich lese dir vor, was die geschrieben haben:
     
    Sehr geehrte Frau Johanna Kück,
    für den kommenden Kunst-Sommer hat die Gemeinde Worpswede zum siebten Mal den KÜNSTLER DES JAHRHUNDERTS (KDJ) ermittelt. Nach nur kurzen Beratungen unseres sachkundigen Gremiums steht es nun fest - und so Ehre, wem Ehre gebührt, heißt es bei Goethe, liebe, verehrte Frau Kück - ...
     
    Etwas geschwollen«, kommentierte sie, »aber jetzt kommt's:
     
    Wir teilen Ihnen mit, dass Ihr Vater zum diesjährigen KDJ ernannt worden ist. Er steht nun in einer Reihe mit Mackensen - Modersohn-Becker - Otto Modersohn - Vogeler - Hans am Ende - Rilke.
     
    Hast du das gehört? In einer Reihe!« Sie freute sich wie ein Kind. Sie las weiter:
     
    Die Öffentlichkeit wird bereits in den nächsten Tagen informiert und für den Sommer ist in der Großen Kunstschau eine Sonderausstellung mit den Werken Ihres Vaters geplant.
     
    »Sonderausstellung!«, wiederholte sie. »Hast du gehört? Bei Graf Ferdinand von Schulenburg muss man Leihgaben anfragen. Den August Bebel aus Osterholz holen. Findorff am besten in Kopie aus Gnarrenburg, man kann ja in Worpswede nicht das Wahrzeichen abmontieren! Die Bauern von Tarmstedt müssten auch her, eine Kopie steht in Kirchtimke, wenn ich mich recht entsinne. Aus Bremen der Roselius und Gorch Fock aus Finkenwerder. Am besten überall anfragen!«
    »Wer soll denn da anfragen?«, Paul wusste nicht, wie seine Mutter sich das vorstellte.
    »Ich denke, dass am besten direkt du anfragst, als Kück, vielleicht in Absprache mit den Veranstaltern! Theodor

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