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Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Rinke
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für Hotelbilder aufzubauen, an die er über Möbelart-Häuser, Kunsthandwerkläden und Internetportale herantrat. Zwei sehr gute Zimmerbildmaler fand er unter den Kunstpädagogen der FU. Sie hießen Jonas und Ingo und malten Katzen, Hunde, Hirsche, Pferde, Hühner, Bäume, Blumen, Birnen, Engel, Melonen und den Mond. Manchmal machten sie auch auf abstrakt, was noch fürchterlicher war, aber die Zimmerbilder waren gefragt. Die Übergaben waren heimlich und diskret, so als handelte es sich um einen Kinderporno-Ring, und Paul spezialisierte sich vor allem auf Hotels in Autobahnnähe: A 4 Görlitz bis Zwickau, A 14 Leipzig bis Döbeln und Dresden bis Magdeburg, A 20 Wismar bis zum Dreieck Uckermark. Natürlich fragte er sich, was eigentlich perverser war, der globale Kunstmarkt oder sein Projekt mit den Katzen, Engeln und Hirschen für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Was wäre denn, wenn er einen vollgespritzten Osama bin Laden in Lutherstadt Wittenberg aufhängen oder in Tangermünde einen halbierten Hammerhai auf den Nachttisch legen würde, was würden denn da die Hotelgäste sagen?
    Er fuhr alle sechs bis acht Wochen mit einem Kleinbus von Kovac los und belieferte die einzelnen Regionen. Manchmal hängte er die Bilder auch selbst auf und seine raumgestalterische Tätigkeit war ihm so widerlich, dass er dachte, er brauchte Gummihandschuhe. In einem größeren Hotel am Kreuz Erfurt hatte er einfach in allen Zimmern das Pay-TV eingeschaltet und nebenbei Pornos gesehen, während er Hirsche, Engel und den Mond an die Wände nagelte, überhaupt stellte er seit Erfurt in allen Hotels, die Pay-TV hatten, Pornos an wie jeder andere Geschäftsmann auf Reisen.
     
    Paul nahm wieder sein Handy und sah auf die SMS von Christina:
    ... Morgen geht's im Labor los. Draußen sonne. Leben. Alles so neu, so schön ...
     
    Was hieß das denn? Leben, alles so neu, so schön? - Wollte sie ihm andeuten, dass sie das alte Leben nun dort vergessen könnte und ihn gleich mit, wenn er sie nicht ganz schnell besuchen würde?
     
    Besuch mich doch!
     
    War das indirekt eine Drohung? Entweder du kommst oder ich werde es mir hier richtig schön machen! - Paul starrte immer noch auf sein Handy und das »LG« ganz am Ende der SMS, damit hatte sie schon ihr Entfernen angedeutet, dachte Paul, nicht »Kuss«, sondern »LG«, LG war die Strafe dafür, dass er nicht nach Barcelona mitgekommen war, vielleicht hatte sie seinen Geburtstag auch bewusst vergessen.
    Kovac kippte noch einen Schnaps hinunter und wollte zurück in seine Montagehalle, das neue Halmer-Bild nahm er unter den Arm.
    »Was dagegen ist faule Fisch und Osama-Quatsch? Die Welt ist verrutscht!«
    »Weißt du eigentlich, wie lange eine Expresslieferung dauert?«, fragte Paul. »Ich warte auf Post.« Beim »faulen Fisch« war ihm wieder der Chicoree seiner Mutter eingefallen, den sie per Express aus Playa Bianca abgeschickt und der wahrscheinlich gerade eine Zwischenlandung in Nordafrika hatte. »Kann ich einen Zettel an die Tür kleben, dass man das Paket bei dir abgibt, falls es doch noch heute kommt? Meine Mutter hat was geschickt.«
    »Ja«, sagte Kovac, er stand mit dem Halmer-Bild so anklagend da, als sei es ihm ernst mit der »verrutschten Welt«.
    Außerdem schien es, dass er das Bild wirklich mochte und als bedeutend betrachtete, zumindest wollte es ihm nicht in den Kopf, dass man für faule Tiere und Terroristen Millionen zahlte und für Halmer und seine Kunst nichts.
    »Warum du nicht verkaufen alles in Heimat, in Künstlerdeponie?«, fragte er. »Muss alles sofort mit Bus von Kovac in Künstlerdeponie und verkaufen! Nach Wolfsburg!«
    »Nach Worpswede!, nicht Wolfsburg. Und das heißt Künstlerkolonie, nicht Deponie!«
    Paul hatte ihm erzählt, dass er aus der »Künstlerkolonie Worpswede« komme und eine »Künstlerkolonie« etwas sei, wo fast alle Kunst machen würden, was Kovac sofort mit der Autostadt Wolfsburg verglichen hatte, nur dass in Worpswede nicht Automenschen lebten, sondern Kunstmenschen.
     
    Am Mittag zündete Paul ein chinesisches Räucherwerk an und verließ seine Galerie. Er lief bis zur Zionskirche und bestellte beim Inder Mattar Paneer und einen Mango Lassi. Gerade das Zu-Tisch-Gehen, das Mittagessen, dass er auch wirklich mittags aß - Paul hatte danach eine große, unerfüllte Sehnsucht. Wenn er früher mit den Bauernkindern im Moor und in den Wiesen spielte, riefen sie plötzlich »Mahlzeit« oder »Mahltiet« und liefen weg. Und

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