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Der Mantel - Roman

Der Mantel - Roman

Titel: Der Mantel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
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wirklich kein leidenschaftlicher Jurist. Was man so wenig liebt, kann man nur mit Anstrengung betreiben.«
    »Mama, ich habe in den letzten Monaten die meisten Zeit auf dem Ostfriedhof zugebracht, nicht bei Gericht. Ich habe nachgedacht. Zwiesprache gehalten.« Er schaute kurz auf Shiva, dann ergänzte er: »Ich bin mit meinem Beruf nicht unglücklich, aber Jura war nicht meine Idee. Das weißt du, ebenso wie dass ich es euch zuliebe studiert habe.«
    Seine Mutter beugte sich ruckartig vor. »Euch zuliebe? Es war allein der Wunsch deines …«, sie stockte: »Es war Karls Wunsch.«
    »›Deines Vaters‹ wolltest du sagen. Darüber wollten wir ja auch sprechen.« Nun stieß er die Fragen hervor: »Warum hast du all die Jahre geschwiegen? Wie konntest du ihn dann heiraten? Was wusste Karl? Wann kam er drauf? Wer ist mein Vater? Tomas´?«
    Sie schien auf den heftigen Ausbruch vorbereitet zu sein und musste sich lange überlegt haben, wie sie seiner aufgebrachten Stimmung begegnen wollte. Ihre Stimme war leise und warb um sein Verständnis: »Hör mir zu, Uli. Ich war jung, sehr jung. Ich habe Karl sehr gemocht. Er verehrte mich. Und er umwarb mich mit Komplimenten, mit Geschenken. Er machte mir sehr bald nach unserer ersten Begegnung einen Antrag. Ich fand ihn so – so ehrlich, so zuverlässig. Wie einen Anker. Ich – hatte doch keine Wurzeln. Mein Vater war im Krieg gefallen, meine Mutter hatte einen Freund. Ein Kriegsheimkehrer. Er hatte nur gelegentlich Arbeit. War schwer versehrt. Und er trank. Er wollte mich nicht, und ich gehörte nicht zu ihm. Ich ging weg von meiner Mutter. Ich musste es tun. Zu Hause war es die Hölle. In München fing ich an, Theaterwissenschaften zu studieren. Ich verdiente mir das Geld als Bedienung in einem Café, fast jeden Tag vom Nachmittag bis in den Abend. Karl war Referendar im Staatsdienst. Er bot mir Sicherheit und Geborgenheit.« Sie seufzte kurz. »Möchtest du noch Tee?«, aber sie fuhr gleich fort: »Tomas´ lernte ich in einem Seminar kennen. Er war aus der Tschechoslowakei gekommen und kannte niemanden. Wir trafen uns mehrmals. Er war so faszinierend. Er sprühte vor Ideen. Er wollte Opernsänger werden. Er hatte keinen Plan. Nur den glühenden Wunsch, auf der Bühne zu stehen. Ich verliebte mich in ihn. Und er sich in mich. Er sang für mich, er schrieb für mich. Er kam in mein Café und starrte mich an. Er verschlang jede meiner Bewegungen. Er schrieb Liebeserklärungen auf Kassenbons. Ich fand elegische Zitate aus Opernpartituren in unseren Speisekarten. Er hat im Café für mich gesungen. Einfach losgesungen. Ich war erschrocken – aber auch so geschmeichelt. Einmal hat er unbemerkt ein Herz in eine Torte gekratzt, die gerade aus der Konditorei gekommen war …«
    Er unterbrach sie grob: »Mama, bitte. Ich habe verstanden.«
    Sie hatte die Augen auf das Kerzenlicht gerichtet, in dem leuchtend ihre Jugendflammen aufgelodert waren wie ein fernes Wetterleuchten. Nun starrte sie ihren Sohn wieder an: »Verzeih. Aber ich wollte nur, dass du verstehst, was mich so stark angezogen hat. So stark, dass ich mich ihm hingegeben habe. Erst als wir es getan hatten, begannen wir, über ein gemeinsames Leben zu sprechen. Ich hatte ihm nicht viel über Karl erzählt. Er hätte es nicht hören wollen. Für ihn war unsere Welt vollständig. Im Café, bei Spaziergängen im Englischen Garten, wo er mir mit glühenden Gesten seine zukünftige Karriere als Opernsänger beschrieb.«
    »Vollständig mit sich beschäftigt. Und was war dann euer Lebenskonzept?«, fragte er bohrend.
    »Die Liebe. Er liebte mich. Aber eine Idee von einem Leben zusammen hatte er nicht. Ich fühle, du willst es nicht verstehen. Obwohl er in der Tat dein Vater ist!«, setzte sie etwas zu heftig nach.
    Schmidt beugte sich in seinem Sessel vor: »Was erwartest du von mir? Du hast einen neuen Vater aus dem Hut gezogen, nachdem ich fünfundvierzig Jahre lang einen anderen Vater hatte. Vielleicht nicht gerade einen, der mich besonders gut verstand. Darum habe ich erst nach seinem Tod verstanden, wie sehr er mir ein guter Vater sein wollte.«
    Er spürte, dass seine Augen zu schwimmen begannen. Das Kerzenlicht waberte nun auf seinen Pupillen. Er schlug kurz den Blick nieder und schaute auf Shiva, um sich zu fassen: »Tomas´ hat sich doch nie zu mir bekannt. So wenig wie zu dir! Was war seine Reaktion, als er erfuhr, dass du schwanger warst?«
    »Uli, das kannst du dir doch vorstellen. Er konnte damit nicht umgehen.

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