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Der Mantel - Roman

Der Mantel - Roman

Titel: Der Mantel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
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Straße lassen. Ja, Shiva gab dem Ganzen den Rest. Für sie hatte ich versagt. Kein Kind. Und nun schleppte ich mein eigenes Ersatzkind ein. Dabei hatten wir doch schon ihre Elfie. Da senkte sich langsam der Vorhang.«
    »Nirgendwo in deiner Schilderung kommt Liebe vor, von Leidenschaft ganz zu schweigen«, merkte seine Mutter trocken an.
    »Mama, ich bin anders als du. Man kann sich auch ohne Drama lieben. Sich einfach ergänzen. Sich in schwierigen Zeiten gegenseitig stützen. Die großen Gefühle helfen nicht immer weiter. Ich habe Angst vor der Leidenschaft. Sie treibt einen bewusstlos vor sich her. Man ist nicht mehr man selbst. Und macht Fehler. Hast du das nicht in deinem Leben genügend erfahren müssen?«
    »Ich weiß, worauf du hinaus willst, du bist mein Sohn. Aber du verstehst mich nicht. Und Franz könnte es nicht einmal versuchen. Ich gebe immer wieder alles für eine große Liebe. Lieber ein Jahr leidenschaftlich gelebt als zehn Jahre in Gleichgültigkeit und Gleichmaß. Ich kann nicht nachvollziehen, was du über deine Ehe mit Bettina sagst. Es ist so entfernt, so flach. Fast kalt. Dabei bist du doch ein empfindsamer Mann, ein musischer Mensch.«
    »Ich bin vielleicht empfindsam. Aber das heißt doch nicht, dass man immer zu heiß baden muss. Vielleicht habe ich ja unbewusst miterlebt, was du vor meinen Augen, ach was, was du mit meinem Leben gemacht hast. Und habe deswegen einen ruhigeren und sichereren Weg gewählt. Und einen, der andere nicht schädigt.«
    Seine Mutter stand auf und wischte seinen Gedanken mit einer kurzen Handbewegung weg: »Ich möchte nun doch noch einiges von dir erfahren, Ulrich. Manches, was du mir erzählst, glaube ich dir nicht. Du verstellst dich, um mir den Zugang zu dir zu verwehren. Aber du wolltest deinen Hund auf die Straße begleiten. Tu das, dann musst du mir nicht erneut Vorwürfe machen. Und bis du zurück bist, habe ich die Kerze ausgewechselt. Und uns einen Wein geöffnet. Du trinkst doch einen Schluck Weißwein mit mir?«
    Er war nun auch aufgestanden. Shiva wedelte heftig mit dem Schwanz und sah ihn aus im Kerzenlicht glitzernden dunklen Augen an. »Ja, ein Glas bestimmt. Ich bin bald zurück.« Er zog seinen Mantel über und ging mit dem aufgeregten Hund die knarrenden Stufen des gutbürgerlichen Treppenhauses hinunter. Er folgte mehr dem schnellen Erkundungsgang des Hundes, als dass er eine Richtung vorgab. Von den prächtigen Häusern, die die bayerischen Könige vor gut hundert Jahren im Schatten der Ministerien gebaut hatten, ging es flussaufwärts in Richtung Gärtnerplatz-Viertel. Die Wohnanlagen bayerischer Spitzenbeamter machten einer ebenso alten Handwerkersiedlung Platz. Heute bestimmen dort Fitnessstudios, Cafés, türkische Änderungsschneidereien und Fair-Trade-Lebensmittelgeschäfte das Bild. Massage, Fußpflege nur für Frauen, Kneipen mit Kochkursangeboten. Eine bunte Landschaft, alternativ und grün.
    Weil Shiva hier einen Baum besonders hingebungsvoll markierte, nahm Schmidt die Fassade näher in Augenschein. Erker, stilisierte Balkone in braun, rot, gold. Eine Handwerkerschule, die ihre Grundsätze mahnend an der Fassade angebracht hatte: Wer auf sich selbst ruht, steht gut. Und: Ohne Fleiß kein Preis. Ohne Mühe kein Gewinn.
    Schmidt fand für sich alles viel schwieriger. Wo stehen? Fleiß wofür? Er rief Shiva zurück, der zielstrebig nach Hause lief. Seine Bemerkung seiner Mutter gegenüber hatte ihm so plötzlich vor Augen geführt, wie sehr Shiva eine Rolle gespielt hatte bei der Auflösung seiner Ehe. Shiva war für Bettina ein unablässiges Ärgernis, ein Tier, das ihr nicht lag. Dass es die extremste Form eines Findelkindes war, hatte sie nicht interessiert. Aber es stimmte, dass er mit Shiva immer mehr Zeit zubrachte. Auf ausgedehnten Spaziergängen durch den Englischen Garten, selbst in die Gaststätten seiner Nachbarschaft nahm er ihn mit. Er war also tatsächlich ein Spaltelement ihrer Ehe gewesen. Das hätte er bei richtigen Verhältnissen nie werden dürfen, dachte er, während er dem Hund fest die Flanken klopfte. Shiva schien sich in den Boden zu senken, um unbewegt die festen Schläge entgegenzunehmen.
    »Wir müssen zurück, du Ehebrecher«, sagte Schmidt. Dann traten sie rasch den Rückweg an.
    Er wollte seine Mutter nicht verletzen. Aber er fühlte sich entwurzelt. Er wusste nicht, was er aus allem Gehörten für seine Identität schließen sollte. Und er brauchte Orientierung. Dafür zürnte er seiner Mutter. Sie hatte

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