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Der Mantel - Roman

Der Mantel - Roman

Titel: Der Mantel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
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angeboten hatte, sie zu besuchen. Schließlich fand sich ein Termin, ein Februarnachmittag. Er hatte rasch eingewilligt. Die Kanzlei lief schleppend, Gerichtstermine waren vormittags und Mandantenbesuche hatte er allzu wenige. Die blauen Akten konnten warten. Sie waren ein leicht zu ertragender, stummer Vorwurf.
    In einer Bäckerei kaufte er zwei Krapfen, es war Faschingszeit. Seine Mutter empfing ihn mit demonstrativer Herzlichkeit. Sie küsste ihn auf die Wange und hielt kurz seine Schultern. Ihr schwarzer Hosenanzug unterstrich, dass sie sich noch in Trauer um ihren verstorbenen Mann befand. Wie misstrauisch ich bin, schoss es kurz durch Schmidts Kopf. Er gab ihr die Krapfen und sie lachte leise: »Seit wann bist du so aufmerksam?«
    »Ich entwickle mich. Das wolltest du doch schon immer?«
    Sie sah ihn rasch und prüfend an. Sie hatte ihr Haar, schwarz wie vor Jahren, in einem Knoten zusammengenommen. So wirkte sie streng und gesammelt. Sie drehte sich rasch um und ging in die Küche: »Ich habe uns einen Tee gemacht. Lass mich nur schnell die Krapfen herrichten.«
    Er folgte ihr und betrachtete die Wohnung, als sähe er sie zum ersten Mal. Die hohen Decken, das knarrende Parkett, seit Jahrzehnten nicht renoviert. Gedämpft durch die persischen Teppiche klangen die Bohlen wie Seufzer, dachte er. Die Stiche der Opernhäuser Europas an den schwach ockerfarbenen Wänden erinnerten ihn an das zentrale Thema des bevorstehenden Gesprächs.
    Karls Mäntel hatte sie noch nicht entfernt, nur seine wetterfesten Schuhe und Stiefel in der Ankleidenische. Die Küche kam ihm nun zu groß vor für die zierliche alte Frau. An der großen Kühlschranktür waren die Spielpläne der bayerischen Staatsoper und aller anderen wesentlichen Bühnen der Stadt mit Magneten befestigt. »Warum hängen die hier? Du kannst sie doch alle auswendig. Und brauchst sie nicht mit deinen Abos!«, frotzelte er.
    »Es beruhigt mich, den Rhythmus der Aufführungen vor mir zu sehen. Die Staatsoper ist mein Sonnenkalender, das Prinzregententheater mein Mondkalender.« Sie ging rasch in das Wohnzimmer vor, wo eine Kerze den großen Raum erleuchtete. Unter der Kanne brannte ein Teelicht. Er ließ sich in einen der tiefen Sessel fallen. Gleich neben sich setzte er die Schale mit dem Wasser ab, die er für Shiva erbeten hatte. Wieder verblüffte ihn das Tier. Er hatte seine Mutter nicht beschnüffelt, was sie sehr gestört hätte. Und er unterließ eine Erkundung der Wohnung. Diese wäre eigentlich fast Pflicht gewesen. Stattdessen schaute er Schmidts Mutter mit einem großäugigen Ein-Herz-für-Tiere-Blick an, nicht ohne ein wenig, vornehm und sparsam, mit dem Schwanz zu wedeln. Er legte sich sofort neben den Sessel, die Pfoten nach vorne abgelegt. Die Augen musterten die beiden, abwechselnd zog er dabei die Augenbrauen hoch. Was für ein sensibler Schauspieler im Hause einer Verehrerin der darstellenden Künste.
    Da bemerkte er, dass der Ohrensessel, in dem sein Vater immer gesessen hatte, einen neuen eierschalenfarbenen Bezug hatte. Hell leuchtend wies er auf Karls Abwesenheit hin. Sie war seinem Blick gefolgt und sagte etwas zu schnell: »Du weißt, wie speckig dieses Ungetüm war. Nicht mehr sehr ästhetisch. Gefällt dir der Bezug?«
    »Ja, ja, ist nur ungewohnt.« Wenn es einen Platz gab, der seinen Stiefvater in den letzten Jahren seines Lebens versinnbildlicht hatte, war es dieser einstmals verschlissene Sessel. Das Beistelltischchen mit der Decke für die Zeitungen, Merkur und Frankfurter . Die verschmutzte Brille mit dem Kassengestell. Auch die Mulden, die sein immer dürrer gewordener Körper über die Jahre verursacht hatte, waren der Neupolsterung zum Opfer gefallen.
    Er schaute seine Mutter an: »Und wie ging es in der Osteria weiter, nachdem ich gegangen war?« Schmidt versuchte, zum Thema zu kommen.
    Seine Mutter nahm den Ball jedoch nicht auf: »Du siehst angestrengt aus, Uli, arbeitest du zu viel?«
    Er griente schief und fuhr sich kurz durch das lockige Haar: »Na das nun wirklich nicht. Du weißt doch, dass die Kanzlei sich meist gerade so hält. Irgendwelche Bagatellen, ins Gericht gezerrte Kleinherzigkeiten, Mandanten mit mindestens zwei Wirklichkeiten und robustere Kollegen. Nur ein Rosendorfer kann aus diesem Humus gute Geschichten destillieren. Und da ich kein Strafrechtler bin, kann ich auch keine Kriminalromane aus dem Alltag schneiden wie von Schirach. Nein, ich bin eher unterbeschäftigt«, schloss er ohne Bitterkeit.
    »Du bist

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