Der Mantel - Roman
Er geriet in Panik. Er war viel zu jung, um Vater zu sein. Und sein Leben war so vollkommen anders orientiert. Er konnte nicht zu dir stehen und darum auch nicht zu mir.«
»Dann bin ich am Ende der Grund, weswegen ihr nicht zueinander gefunden habt?«
»Versuche nicht, mir weh zu tun! Du drehst mir das Wort im Munde um. Ich habe nur gesagt, dass diese Situation für ihn zu viel war. Er hat die Verantwortung für ein Kind nicht übernehmen können. Es hat ihn tief erschüttert. Und weil ich einen Vater für mein Kind brauchte, musste er sich von mir zurückziehen.«
»Das heißt, er hat die Beziehung einfach beendet? Obwohl er dich aus einer anderen Beziehung herausgelockt hat.« Schmidt hatte einen Schweißfilm auf der Stirn, obgleich das sich langsam auf den Kerzenschein verkürzende Zimmer kühl war. Er wischte ihn hektisch weg. Er bemühte sich nun kaum mehr, seine Erregung zu verbergen.
»Hör auf, mich absichtlich falsch zu verstehen, sonst breche ich das Gespräch ab.« Sie klang nun scharf und streng. Sie hatte die Rolle der wehrlosen Frau aufgegeben. »Er wusste nichts von Karl, jedenfalls nicht, dass ich fest gebunden war. Ich hatte seine Liebe erwidert. Oh ja, wie sehr«, sagte sie, als lauschte sie in sich hinein, wo sie seine Stimme im Gesang zu hören schien. »Wenn jemand damals – ich will nicht sagen manipuliert wurde, dann war es wohl eher er. Aber im entscheidenden Moment zog er seinen Lebenstraum vor, er wollte ein internationaler Bariton werden, ein großer Künstler. Und er wusste, dafür musste er für die Kunst leben.« Sie seufzte und goss sich erneut Tee ein.
Schmidts Kopfschütteln deutete sie als Zeichen, dass er keine weitere Tasse wollte. Aber er war weit weg von dieser Frage: »Du liebst ihn noch heute. Du verzeihst ihm jede Schwäche. Selbst den Verrat einer jungen Liebe deutest du zu einer Tragödie um, in der er das Opfer ist. Du stellst dich gar als die Hexe dar, die diesen bedauernswerten Hänsel in ihr Häuschen gelockt hat. Unfassbar.« Er holte scharf Luft: »Und wie hast du es dann mit Karl gehalten, wusste er von Tomas´? Hätte er überhaupt mein Vater sein können?«
»Ich verstehe nicht, warum du für Tomas´ nicht etwas mehr Verständnis aufbringen kannst. Er ist dein Vater, Ulrich.« Ihre Stimme war eindringlich.
Wollte sie Tomas´ dergestalt in die Familie einführen, schoss es ihm durch den Kopf. »Das hatten wir schon!«, schrie er fast.
Seine Mutter fiel zurück in den Sessel und legte die schmale rechte Hand über die Augen. »Ulrich, mäßige dich.« Sie murmelte matt unter der vorgehaltenen Hand hervor.
Er tobte weiter. »Ich habe keinen Grund dazu. Du hast mir meinen Vater genommen, als ich mich ihm nach seinem Tod zum ersten Mal nahe fühlte!«
Sie stieß einen bitteren Lacher aus: »So? Und ausgerechnet du hast mir in der Osteria gesagt, du littest darunter, dass du keine Trauer um seinen Tod empfändest.«
Er stockte kurz. Tatsächlich hatte gerade ihre Eröffnung seine Suche nach dem Vater ausgelöst. Vorher war die Stelle, an der ein Vater hätte stehen sollen, leer. Er hatte den verlorenen Vater seiner Erinnerung entrissen. Aus der starren familiären Konstellation geschält. Zu lieben begonnen. Wäre das ohne die erschütternde Nachricht von des Vaters hilfloser Existenz geschehen? Wohl nicht, jedenfalls nicht so.
Er setzte, etwas besonnener, erneut an: »Es ist mir jedenfalls mit seinem Tod etwas klar geworden. Und sicher möchtest du es nicht dein Verdienst nennen, dass ich mich danach so intensiv mit Karl beschäftigt habe wie wohl nie zuvor.«
»Du kannst so böse und verletzend sein. Warum nur?«
»Du hast mich Karl einfach untergeschoben. Du hast kein Wort gesagt. Nie?«
»Er hätte durchaus selbst der Vater sein können, um deine buchhalterische Frage zu beantworten. Und er hat sich auf dich gefreut. Er hat mir die Ehe noch einmal angeboten, als er von der Schwangerschaft erfuhr. Da habe ich eingewilligt. Alles andere hätte dir, uns geschadet. Und ich mochte ihn sehr. Es war ja auch eine glückliche Ehe!«
»Wann hat er erfahren, dass ich nicht sein Kind bin?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht ahnte er es nach der Geburt von Franz. Er war so sehr Karl. In allem. Und du, du wurdest wie Tomas´. Und vielleicht habe ich dich darum besonders umhegt.« Sie schien nachzudenken: »Was Karl wirklich wusste, kann ich bis heute nicht sagen. Wir haben nie darüber gesprochen.«
»Warum glaubst du dann, dass er davon wusste?«
»Ich sage
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