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Der Mantel - Roman

Der Mantel - Roman

Titel: Der Mantel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
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Gefallen nicht abschlagen können. Sie hatte ein neues Geschirr gekauft und das Fassungsvermögen der großen Schüsseln falsch eingeschätzt. Nun wollte sie den Kauf des gesamten Sets rückgängig machen. Das Geschäft lehnte erwartungsgemäß ab. Seine Mutter bat ihn um Hilfe. Er versuchte, ihr zu erklären, warum da juristisch nicht viel zu machen war, aber das beeindruckte Regine nicht. Die Schüsseln wirkten viel größer, seien jedoch viel zu klein für sechs Personen. Das habe man nicht sehen können. Zudem habe man ihr wohl absichtlich nur die Terrine gezeigt, um von dem Problem abzulenken. Was er denn für ein Jurist sei, wenn er vor einer so eindeutigen Angelegenheit zurückschrecke?
    Er führte den Prozess. Er bescherte damit dem ansonsten knochentrockenen Münchner Amtsgericht eine der buntesten Szenen der vergangenen Jahre. Der Richter hatte Freude an dem Vorgang, der die vormittägliche Verfahrensroutine unterbrach. Die Schüsseln samt Terrine wurden bei Gericht mit Wasser gefüllt, um ihr Fassungsvermögen zu ermitteln. Die sonst so gelangweilten Kollegen, die geistesabwesend in ihren Akten blätterten, während sie auf den Folgetermin warteten, und das Publikum, wohl eine Berufsschulklasse, lachten wie bei einer Kabarettveranstaltung. Ärgerlicherweise auch sein Gegenanwalt. Schmidts Mutter, sonst humorvoll, wusste nicht, was hier komisch sein sollte. Schmidt versank im Erdboden. Der Richter kostete den Spaß aus, dann schlug er einen Vergleich vor: Das noch unbenutzte Geschirrset sollte zurückgenommen werden, das Einrichtungshaus sollte es in Zahlung nehmen für ein größeres Geschirr, das Regine aussuchen sollte. Selbstredend für mindestens den gleichen Preis. Seit Azdak mit dem kaukasischen Kreidekreis habe niemand so weise entschieden, feixte sein Gegenanwalt und erbat zwei Wochen zur Klärung, ob seine Partei den Vergleich so annähme. Schmidt verließ das Gericht mit rotem Kopf. Einige Zuschauer hatten belustigt zu klatschen begonnen, als er mit seiner Mutter den Sitzungssaal verließ. Der Richter griente, seine Mutter aber stellte fest, dass der Richter gut war und das Urteil ihr recht gab. Denn die Schüsseln seien einfach absurd klein.
    Von dieser Geschichte erzählten die Kollegen, die Schmidt kannten, sich regelmäßig mit diebischer Freunde. Ansonsten blieb sein Geschäft eher unspektakulär und kleinteilig. Irgendwo im Niemandsland zwischen Nachbarschaftsstreitigkeiten, schiefgelaufenen Kaufverträgen und gelegentlichen Scheidungssachen spielte sich sein Alltag ab.
    In den Scheidungsangelegenheiten wurde er meist von Frauen mandatiert. Das war ehrenvoll und seinem Einfühlungsvermögen für die meist seelisch tief getroffenen Frauen geschuldet. Es hatte aber auch zur Folge, dass er zunächst dem Geld hinterherlaufen und gleichwohl unendlich viel Zeit investieren musste. Letzteres, weil die Frauen Wichtiges und Unwichtiges nicht trennen wollten und ohnehin die endlosen Demütigungen, von denen sie zu berichten wussten, für wichtiger hielten als die prozessrelevanten Fakten. So saß er, lauschte, tröstete und lenkte behutsam das Gespräch nach vielen Tränen wieder auf Themen wie Vermögens- und Einkommensverhältnisse und auffällige Veränderungen in diesen Bereichen in der jüngeren Vergangenheit. Manchmal gelang es ihm auch, wesentliche Aufgaben der Sachverhaltsermittlung und vor allem der Kanalisierung seelischer Nöte seiner Rechtsanwaltsgehilfin Graseder zu überlassen. Sie war nun schon bald sieben Jahre bei ihm und hatte trotz ihrer Nähe zu Bettina die Trennung von ihr sehr gut gemeistert.
    Sie beherrschte die Außenkommunikation, die ihm schon wegen seiner Unbeholfenheit mit jeglicher Elektronik vom Computer bis zum Mobiltelefon Schwierigkeiten bereitete. Sie kümmerte sich um Shiva, führte ihn Gassi und warf ein neutrales Auge auf seinen Junggesellenhaushalt. Ihre niederbayerische Herkunft hatte ihr eine unbeirrbare Bodenständigkeit, einen ausgeprägten praktischen Sinn und einen unverwüstlichen Humor auf den Weg mitgegeben. Eigentlich war sie mit ihrem mittellangen, kastanienbraunen Haar, das so unglaublich dicht und vital gelockt auf ihre Schultern fiel, ihrer sportlich-kräftigen Figur und dem klaren, offenen Gesicht eine attraktive Mittdreißigerin. Aber Schmidt hatte das immer sorgsam ausgeblendet. Er hatte Angst, zu große Nähe könnte sein »Betriebssystem« zum Erliegen bringen. Oder hatte er sie so unverrückbar als Teil seiner wenig geliebten Berufswelt

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