Der Mantel - Roman
heimlich von den beiden Frauen gemacht hatte, bis zu Originalbelegen vom Kauf aufwendigster Kleidung für die Partnerin der Mutter, das alles strengte Schmidt über die Maßen an. Aber er hatte auch das Gefühl, zum ersten Mal richtig Anwalt zu sein. Denn sein Mandant strebte alles Erdenkliche an. Er wollte den Himmel über der siegreichen Nebenbuhlerin um die Mutter einstürzen lassen. Wollte Strafanzeige wegen Urkundenfälschung, Betrug, Unterschlagung stellen, ja gar Mord wollte er in rasenden Momenten nicht ausschließen. Aber natürlich ging es in erster Linie um Testamentsanfechtung, Pflichtteilsrechte, Herausgabeklagen sowie zahlreiche Auskunftsklagen.
Und Schmidt, der Schöngeist, dem das Materielle immer so fremd geblieben war, entdeckte an sich eine weitere Seite. Mathias Wimmer war vorschussfähig und vorschusswillig. Er hatte Geld und kein dringenderes Bedürfnis, als diese Auseinandersetzung so umfassend und radikal wie möglich zu führen. Koste es, was es wolle. Es kostete. Schmidt hatte keine Veranlagung, die Situation auszunutzen, die ihn und seine Mitarbeiterin zu den engsten Bezugspersonen des um Vermögen, Liebe und eigene Geschichte kämpfenden Mannes hatten werden lassen. Aber die Stunden, die sie für das Mandat investieren mussten, hatten ihren Preis. Und Wimmer verhandelte nie, er belegte die kleine Kanzlei mit Beschlag, er finanzierte sie, er füllte sie mit neuem Leben, er gab ihr ein wirkliches Projekt und vertiefte die Betreuungsgemeinschaft, die Schmidt und die Graseder in Ehescheidungsfällen entwickelt hatten.
Nur Shiva hatte ein angespanntes Verhältnis zu Mathias Wimmer. Wenn er kam, legte der Hund die Ohren eng an und knurrte. Selbst Schmidts Beschwichtigungen konnten sein Misstrauen nicht zerstreuen. Waren es die Schrei- und Weinausbrüche des großen, plumpen, mittelalten Mannes oder der Umstand, dass er für die schier endlosen Besuche eingesperrt wurde? Oder die seinem eigenen klaren Siegernaturell so fremde Mischung aus Ängstlichkeit und Depression, Kontaktstörung und hochfahrenden Gesten voll mangelnder Selbstkontrolle?
In diesem einen Fall musste sein Gefährte zurücktreten, ja sich gar einsperren lassen. Aber kaum war Wimmer zur Tür hinaus, rannte Schmidt zu seinem Schlafzimmer, um Shiva zu erlösen. Der sprang an ihm hoch, als wäre er erleichtert, dass sein Herrchen ihn nicht verlassen hatte. Dann gingen sie rasch herunter zur Isar und den bewaldeten Uferstreifen entlang. Shiva brachte ihm bald einen Knüppel, den er irgendwo entdeckt hatte. Groß, größer und mit triefenden Lefzen und blinkenden Zähnen. Schmidt entschuldigte sich dann, indem er warf, so weit er konnte. Manchmal schmerzten die Sehnen seiner Hand oder er überdehnte einen Schultermuskel. Shiva sprang mit kühnen Sätzen hinter dem Holz her. Hatte er es erst einmal im Maul, so wurde es herumgeschleudert, angebissen, malträtiert, bevor er es zurückbrachte. Dabei biss er nicht selten an einem Ende zu, so dass sein Kopf vom Gewicht des Stockes seitlich nach unten gezogen wurde. Wenn er den Knüppel mittig erwischte, konnte er besser und stolzer laufen.
***
Schmidt starrt auf den dicken Wurzelstrang, der sich unter ihm quer durch die dunkle Grube zieht. Er schüttelt den Kopf, dann hebt er den Spaten über den Kopf und lässt ihn auf die Wurzel niedersausen. Sie gibt etwas nach, darum dringt er kaum zur Hälfte ein. Die Kerbe nutzend, sticht er nun erneut von zwei Seiten zu, bis das nasse Holz durchtrennt ist. Er schwitzt. Es regnet seit einiger Zeit nicht mehr, stellt er aufschauend fest. Er steigt aus dem Loch und hängt den völlig durchweichten Filzhut an einen niedrigen Aststumpf. Er wischt sich über die Stirn. Das schüttere Lockenhaar klebt ihm am Schädel. Sein ganzer Körper ist feucht. Vom Regen und von der Anstrengung. Er wird weitermachen müssen, um nicht kalt zu werden. Und er muss irgendwann fertig werden. Er tritt an den Aushub und sticht nun nach dem anderen Ende der Wurzel. Sie gibt nach, wippt, was in seinen Händen noch mehr schmerzt. Nach einigen Hieben ist sie durch. Er steigt wieder herunter, greift das armlange Holzstück und wirft es mit einem unterdrückten »Lauf!« in die Nacht. Schmidt späht in die Dunkelheit auf die stummen Schattengestalten mächtiger Bäume. Die Abstände zwischen ihnen sind so groß, dass jeder von ihnen eine imposante Präsenz entfaltet. Wie still die Stadt ist, wie reglos der Seesack, der da schwer liegt. Wie flüchtig das Leben. Und wie
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