Der Mantel - Roman
Bernsteinaugen stierten. Unverwandt auf das Gesicht seines Bewunderers gerichtet. Der schaute achtsam und forsch zugleich. Schmidt spürte, dass die beiden sich mochten. Nicht selbstverständlich, denn Kindern gegenüber war Shiva nicht selten unberechenbar, er konnte übergangslos aggressiv oder so ungestüm reagieren, dass sie Angst bekamen und ihn damit nur noch mehr reizten.
Während er die gegenseitige Annäherung beobachtete, hatte die Graseder wieder vor ihrem Bildschirm Platz genommen. Der Junge fragte ihn ohne Umschweife: »Können wir mit Shiva einen kleinen Spaziergang machen?« Um sie noch beiläufiger klingen zu lassen, hatte er für die Frage nicht einmal aufgeschaut. Nun schaltete sich die Mutter ein: »Fabian, wir gehen jetzt. Entschuldigung, Herr Schmidt.«
»Nein, nein, da gibt es nichts zu entschuldigen. Er hat ja gefragt und ich habe nichts dagegen. Von mir aus, eine halbe Stunde können wir gehen. Reicht, um ein wenig am Isarufer entlangzulaufen.«
»Wollen Sie mitgehen oder hängen Sie noch an etwas fest?«, fragte er die Graseder.
»Wo Sie das so sagen, fällt mir ein, dass wir mal einen neuen Bürostuhl für mich brauchen. Daran hänge ich nämlich oft mit meinen Sachen fest. Nein, ehrlich, gehen Sie ruhig, ich habe noch zu tun.«
»Gut, dann machen wir es so.«
Fabian hatte nun die andere Hand zu Hilfe genommen, um den Hund im Nacken zu massieren. »Cool«, merkte er nur an.
Die Natur erwachte gerade aus ihrem Winterschlaf. Es war schon warm, die ersten gelblich-grünen Knospen leuchteten an den skelettierten Bäumen. Auf dem matten Winterrasen blinkten die Krokusse. Kaum waren sie auf der anderen Isarseite, brachte Shiva einen armdicken, wohl fünfzig Zentimeter langen und bereits von mehreren Hunden zugerichteten Prügel. Schmidt warf ihn auf die breite Rasenfläche. Der Hund war gleich wieder mit der stolz getragenen Beute zurück.
Schmidt sagte: »Wenn dir der nicht zu schwer ist, versuch es.«
Fabian atmete heftig aus: »Denken Sie, ich kann nicht mehr als einen Schlagball werfen?« Tatsächlich riss er sich bei dem demonstrativ weiten Versuch fast den Arm aus. Shiva raste los und brachte dem Jungen das Holz zurück. Der warf, dann drehte er sich zu Schmidt um und schaute ihn durch seine Brillengläser unverblümt an: »Darf ich du sagen?«
Die Frage traf Schmidt völlig unvorbereitet. »Äh«, suchte er unschlüssig eine Meinung zu der verblüffenden Frage zu finden.
Der Junge griente: »Na ja, ich würde auch ›Äh‹ sagen. Aber noch lieber wäre mir, wenn ich Du sagen dürfte.«
Schmidt musste lachen: »Du bist mir ja ein recht offensives Früchtchen. Noch mehr als deine Mutter. Na gut, ist zwar ein bisschen seltsam, weil ich deine Mutter nicht einmal duze. Also, ich heiße Ulrich.« Er kam sich reichlich komisch vor, im Park mit Hund und Holz einer solchen unerwarteten Annäherung ausgesetzt zu sein. Er konnte ihm nicht einmal die Hand drauf geben. In der Rechten hielt der forsche Junge den vollgesabberten Stock. Fabian warf wieder, der Knüppel landete bedrohlich nah an einem quer verlaufenden Weg, auf dem ihnen Leute entgegenkamen. Schmidt knurrte: »Die siehst du schon, oder?«
Fabian schien zu verstehen: »Oh, ’tschuldigung. Ist mir beim Werfen weggerutscht. Und ich wollte dich nicht drängen. Es ist nur – ich habe viel von dir gehört. Und ich …«, Schmidt meinte ein leises Erröten auf dem blassen Gesicht zu erkennen, »ich wäre gerne dein Freund.«
»Mein Freund?« Schmidt wollte nicht so erschrocken klingen.
»Ist das falsch?«
»Ja, falsch grad nicht, aber überraschend. Wir sind zwei Generationen auseinander und wir haben doch nicht so viel miteinander zu tun.« Es tat ihm leid, wie abweisend und altklug das klang, kaum dass er es gesagt hatte. Aber er wollte auch keine Erwartungen entstehen lassen. Er setzte nach: »Also ich meine halt, dass wir schon mal irgendwann wieder mit Shiva losziehen können. Aber ansonsten …«, während der Satz erstarb, ging er langsam weiter, als könnte er so das Thema umgehen.
Der Junge beobachtete ihn aufmerksam von der Seite. Er war nicht so viel kleiner als Schmidt, schmal, aber hoch aufgeschossen. Und nachdrücklich. »War nur eine Idee. Wenn es für dich blöd ist … Und eigentlich könntest du ja fast mein Vater sein.«
Schmidt blieb nun stehen. Die beiden achteten nicht mehr auf den Hund, der ihnen das speichelglänzende Holz abwechselnd auf die Füße zu schleudern versuchte. »Fabian, was um Gottes
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