Der Mantel - Roman
hatte das gespürt und sich verhalten, als arbeite sie in einer Behörde – aus der sie schließlich kam. Dass sich das nach der Trennung von seiner Frau nicht im Geringsten veränderte, dafür hatte Schmidt gesorgt. Er vermied jedes Gespräch über die so unspektakulär gescheiterte Ehe. Er zog sich in sich selbst zurück, mit Shiva als alleinigem Bezugspunkt seiner Freizeit.
Und nun erzählte ihm Graseders Sprössling, dass seine Mutter ihn verehrte? Wäre sie ihm gegenüber dann so zurückhaltend gewesen? Und warum? Oder baute sich der Bub hier nicht seine eigene Wirklichkeit zusammen, mit einem Wunschvater der nächsten Gelegenheit im Mittelpunkt? Das wäre ihm aus allen Varianten, die er auf diesem Spaziergang verstehen lernen musste, noch die liebste gewesen. Fabian erschuf sich seine Welt mit geheimnisvoll verbundenen Eltern.
Schmidt war zu lange in Gedanken versunken vor sich hingegangen. Shiva schlug ihn mit einem neuen, langen Stock an den Unterschenkel. Schmidt lachte kurz und warf. Das Ding war unhandlich und fluguntauglich. Shiva war gleich wieder da. Fabian versuchte sich mit dem Ast, erfolgreicher als er, wie Schmidt insgeheim zugeben musste. Wenigstens wirft er wieder, dachte er. »Ich glaube, du übertreibst hier ein bisschen. Deine Mutter mag ihre Arbeit gern. Wir haben interessante Zeiten in der Kanzlei, vor allem durch einen richtig aufregenden Mandanten. Aber mehr nicht. Und ich verstehe deinen Kummer, weil dein Vater nicht da ist. Das ist gar nicht gut, das ist sogar schlimm. Aber ich bin nicht die Lösung, verstehst du? Was immer du dir dabei gedacht haben magst, ich habe nie eine Beziehung mit deiner Mutter gehabt, so sehr ich sie schätze. Aber wir können wieder zusammen mit Shiva spazieren gehen, das verspreche ich dir.«
Shiva hatte im Lauf des Spaziergangs sein Wurfspiel weitgehend auf den Jungen umgestellt. Fabian war unermüdlich und warf weiter und weiter. »Aber eins muss klar zwischen uns sein, ich tue das nicht als Vater oder Vaterersatz, sondern als …« Ja, als was? Sollte er nun in die Falle stolpern, die ihm der Junge zu Anfang gestellt hatte? »… als Freund.«
»Oder als mein Lehrer. Das wäre klasse.«
Schmidt war verblüfft. Wieder hatte Fabian schneller und geschickter reagiert als er. Sie gingen schon wieder über die von der Schneeschmelze angeschwollene Isar zurück. Schmidt musste das Erlebnis mit Fabian einordnen: »Wie viel von dem hast du eigentlich mit deiner Mutter besprochen?« Ein rascher Blick streifte ihn.
»Mit Mama will ich das alles nicht bereden. Versprichst du, dass es zwischen uns bleibt?«
Kein Ausweg. Ein paar Aspekte hätte er gern später mit der Graseder abgeklärt. »Also gut. Versprochen.« Beide lachten nun.
Man sah Sabine Graseder die Sorge an, als ihr Chef mit ihrem Sohn schließlich nach weit mehr als der angekündigten Zeit in der Wohnungstür erschien. Sie stand bereits in der langen Diele, den Kopf leicht schief gelegt. Schmidt beantwortete die in ihr Gesicht geschriebene Frage: »Wir sind recht weit gelaufen. Shiva war sehr gut aufgelegt und Fabian hat super geworfen.«
»Über eine Stunde. Es war anders ausgemacht. Worüber habt ihr geredet?«
Schmidt zuckte zusammen, Frauen und ihr Instinkt: »Wir haben uns ja gerade erst kennengelernt. Schule, Sport, Freizeit, Shiva vor allem. Da gibt es viel zu erzählen.«
»Wie auch immer. Fabian, wir müssen nun wirklich los. Hast du alles beisammen?« Der Junge hatte seine Mutter nur mit großen Augen angeschaut. Nun ging er seine Umhängetasche holen und bestätigte: »Wir können gehen, Mama.« Dann waren sie aus der Tür.
Schmidt gab Shiva Wasser. Als er ihn streichelte, machte er eine beunruhigende Entdeckung. Schmidt kraulte den spitz zulaufenden Brustkorb über den Bauch bis zum Unterleib. Der Hund grunzte wohlig, bis er in die Höhe der Leisten kam. Der Unterleib schien ihm etwas angeschwollen und sein leichter Griff löste eine heftige Zuckung und ein helles Quieken aus. Die Schwellung war offenbar schmerzhaft. Nur was war das? Er versuchte es noch einmal, nun behutsamer, aber Shiva reagierte wieder mit heftigem Ausweichen und einem winselnden Laut. Vielleicht war es nur eine Kleinigkeit, aber er würde es untersuchen lassen müssen. Konnte es eine Entzündung sein? Er verbot sich zu spekulieren. Schmidt beschloss, bald einen Arzt aufzusuchen. Er massierte vorsichtig die Hals- und Schulterpartie des Hundes, dann erhob er sich mit einem Seufzen. Während er eine
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