Der Mantel - Roman
übertrieb. Die Spaziergänge mit Fabian hatten schon Vorteile. Er konnte etwas von seinem weltgeschichtlichen Wissen abgeben und als Gegenleistung die körperliche Anstrengung dem Jüngeren überlassen.
Aber selbst Shiva wirkte heute lahm. Er lief unentschlossen, fast schleppend hinter dem fliegenden Prügel her. Sonst überholte er ihn oft noch im Flug. Er packte freudlos zu und brachte ihn trabend zurück, statt ihn ausgelassen zu schütteln, so, als wollte er das letzte Leben aus seiner Beute herauszwingen. Wohl nicht unser Tag, dachte Schmidt. Der Hund legte das Holz völlig außer Atem vor ihm ab. Für gewöhnlich war das schönste Ritual der wilde Kampf zwischen Herr und Hund um den Knüppel. Mit flammenden Raubtieraugen, bloßliegenden Zähnen verteidigte Shiva das eine Ende des Stocks, stemmte sich gegen den Zug der Hand, riss und schüttelte düster knurrend sein Ende. Erst wenn man dann losließ, war auch der Hund bereit, das nun erfolgreich verteidigte Eigentum dem Werfer für die nächste Runde gönnerhaft vor die Füße zu legen. Nichts von alledem an diesem Nachmittag. Als wäre es eine schwere Last, warf er ausgepumpt den Stock ab und wartete ohne Vorfreude auf den nächsten Wurf. Schmidt erinnerte sich, dass er den Tierarzt wegen der Schwellung an Shivas Unterbauch aufsuchen wollte, er musste im Auge behalten, ob seinem vierbeinigen Freund etwas fehlte. Sein Alter würde eine solche Schwäche nicht erklären. Ob es einen Zusammenhang gab? Dann wäre diese Schwellung möglicherweise ein sehr schlechtes Zeichen. Er verdrängte den Gedanken erneut.
Die folgenden Tage waren mehr von der Graseder als von seiner Sorge um Shiva beherrscht. Sie wirkte gereizt und unkonzentriert. Wimmer wurde vorstellig und beklagte sich bei ihm: »Meine Fragen werden von Ihnen am Telefon einfach weggewischt und meine Gespräche mit Frau Graseder verlaufen seit einiger Zeit extrem unbefriedigend. Es kommt mir vor, als bedeute meine Sache Ihnen beiden nichts mehr.« Bevor Schmidt ihn beschwichtigen konnte, fuhr er fort: »Ist da eigentlich etwas zwischen Frau Graseder und Ihnen, das ich wissen sollte? Ich habe verhängnisvolle Beziehungen wahrlich am eigenen Leibe erfahren müssen. Wollen Sie mir da etwas sagen? Anwalt und Gehilfin. Eine Abhängigkeit, eine Grenzüberschreitung, und Sie stürzen mich ins Unglück. Ich beschwöre Sie, das nicht geschehen zu lassen, Herr Rechtsanwalt.«
Schmidt stand schmächtig und mit pathetischer Geste vor seinem Kernmandanten. Vor der derzeitigen Lebensader seiner kleinen Kanzlei: »Verehrter Herr Wimmer, ich bitte Sie, Sie irren. Ich war mit meinem Hund beschäftigt, dem es derzeit sehr schlecht geht. Das kann passieren. Und Frau Graseder ist meine bewährte Bürokraft. Sie schätzt Sie persönlich ungemein. Wie ich es tue. Sie mag derzeit persönliche Themen haben, die sie anspannen. Aber das hat nichts, gar nichts mit Ihnen zu tun. Ich werde auf jeden Fall der Sache nachgehen. Schauen Sie, ich habe es nicht einmal bemerkt, dass mit Frau Graseder etwas nicht in Ordnung ist. So distanziert ist unsere Beziehung. Eben nicht persönlich oder was immer Sie da im Sinn haben mögen. Keine Parallele mit dem, was Sie mit Ihrer Mutter erlebt haben, ich bitte Sie, der Vergleich ist ohne Grundlage. Aber ich verstehe selbstverständlich, dass Sie sich derzeit schlecht betreut fühlen. Das werde ich angehen. Das darf nicht sein. Sie haben mein Wort. Der Kampf um die Wiedergutmachung all dessen, was Sie erlitten haben, ist mir ebenso wichtig wie Frau Graseder.« Er legte dem weichen Riesen die Hand auf den Arm, um einer peinlichen Umarmung vorzubeugen. War erschöpft von dem schwülstigen Bekenntnis zu seinem Mandanten, das ihm so fern lag. Die Graseder musste jetzt ran, damit er nie wieder so untertänig würde argumentieren müssen. Es bedurfte noch einer halben Stunde gegenseitiger Beteuerungen, bevor er das Gespräch auf einen Schriftsatz lenken konnte.
Am Spätnachmittag desselben Tages sprach er sie schließlich an: »Frau Graseder, wir müssen reden. Sie sind nicht bei der Sache. Sie vergessen die Hälfte. Und Herr Wimmer denkt schon, wir kümmerten uns nicht mehr um ihn. Er nimmt sogar an, unser Verhältnis wäre in der Krise. Oder gar das Gegenteil. Ich will nicht in Ihr Privatleben dringen. Aber ich empfinde die Pflicht, Sie zu fragen, was seit diesem Telefonat vor sich geht.«
Er stand in der Tür zu Ihrem Sekretariatszimmer, trat von einem Fuß auf den anderen. Sie schaute auf ihren
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