Der Mantel - Roman
sie ’ne coole Frau ist, oder?«
Schmidt atmete erleichtert aus: »Mit dir muss man ja wirklich aufpassen! Fang also nicht wieder damit an. Es ist alles in Ordnung so.«
Vorbei an den düsteren Mahnungen, die die Wand am Ausgang zierten, liefen sie auf den kleinen Platz vor dem Friedhof. Sogar Shiva schien erleichtert, dem im Halblicht noch ernster wirkenden Ort entkommen zu sein. Er rannte los, als wollte er die Straßenbahn verfolgen.
Nur wenige Monate darauf kam es zwischen Sabine Graseder und Schmidt zu einer Auseinandersetzung, wie sie in all den Jahren ihrer Zusammenarbeit nicht passiert war, und entsprechend unangenehm und überraschend war die Konfrontation. Schmidt war aufgrund eines ausgefallenen Termins vor der Zeit vom Gericht zurückgekommen. Die Graseder hatte ihn nicht kommen hören. Sie sprach in ihr Mobiltelefon. Der Disput war offensichtlich sehr persönlich und heftig. Er hatte sie noch nie schreien hören. »Lass mich in Ruhe. Du hast mein Leben genug ruiniert. Nicht noch einmal. Nie wieder!«
Sie war offenbar aufgesprungen, als ihr Gesprächspartner auf sie einredete, und hatte den ungeliebten Schreibtischstuhl mit Wucht gegen die Schrankwand krachen lassen. Peinlich berührt, derart in die Intimitäten seiner Angestellten verwickelt zu werden, drückte er sich im Flur hinter die Mäntel, um nicht entdeckt zu werden. Um die Wohnung unauffällig zu verlassen, war es zu spät. Schließlich siegte seine Neugier, zu verstehen, was hier vorging, über seine unkomfortable Situation.
»Nein, ich sage nein! Vergiss es! Vergiss es! Vergiss es!« Ihre Stimme überschlug sich fast. Sie rannte wohl mit dem Telefon durch den Raum. Noch nie hatte Schmidt sie so fassungslos erlebt. Während der Sprechpause ging sie energisch auf und ab. »Nein, hast du nicht gehört? Ich liebe meine Arbeit hier. Ich werde hier nicht weggehen. Niemals! Dann steck dir dein Geld irgendwohin. Ich kann auch alleine für Fabian sorgen. Das war’s. Ein für alle Mal!« Ein dumpfes Geräusch. Sie schien das Gespräch abrupt beendet und sich wieder gesetzt zu haben. Er hörte Schluchzen aus dem Sekretariat. Ihr »Lump. Elender Lump!« ging in heftigem Weinen unter, das Schmidt zutiefst erschütterte. Was um Gottes willen war passiert? Warum sollte sie ihre Stelle bei ihm aufgeben? Für wen? Für was? Das musste der Kindsvater gewesen sein, Fabians Name war gefallen.
Ohne ein Geräusch konnte er sich nicht aus der Wohnung stehlen. Hatte er alles gehört? War er eben hereingekommen? Mit tastenden, leisen Schritten ging er vor zum Sekretariat. Nun hatte sie ihn gehört. Ihr Kopf, zwischen den Händen vergraben, richtete sich ruckartig auf. Sie schaute ihn aus tränennassen Augen an: »Herr Schmidt! Was machen Sie denn hier?« Ihr Ton war abwehrend. »Ich bin gerade hereingekommen. Der Termin wurde verlegt. Ich wollte Sie nicht stören. Aber was um Himmels willen ist hier passiert?«
Er wollte helfen, aber sie nahm das Angebot nicht an. »Das geht Sie nichts an. Reine Privatsache. Halten Sie sich da raus.«
Die Grobheit forderte ihn weiter heraus: »Aber Frau Graseder. Selbstverständlich mische ich mich nicht in Ihre Privatangelegenheiten ein. Habe ich nie gemacht. Nur wenn Sie Schwierigkeiten haben, fühle ich mich als Ihr Arbeitgeber in die Pflicht genommen. Und es war wohl auch von Ihrer Tätigkeit bei mir hier die Rede.« Weiter wollte er nicht gehen mit etwaigen Spekulationen.
»Herr Schmidt, ich bin im Moment nicht in der Verfassung, mit Ihnen über dieses Thema zu sprechen. Bitte entschuldigen Sie mich für heute.« Ihr kurzer Blick war flehentlich.
»Klar, sicher. Wenn Sie etwas brauchen, lassen Sie es mich wissen.«
Sie schnappte sich ihre Handtasche, vergaß, den Computer abzuschalten, er wollte sie nicht erinnern. Sie rauschte an ihm vorbei, riss außer ihrem zwei weitere Mäntel vom Haken und war schon durch die Tür geflohen. Schmidt war aufgewühlt, mit sich nicht im Reinen. Er sah Shiva ratlos und breitbeinig mit großen Bernsteinaugen im Flur stehen und nahm ihn an die Leine. Shiva verhielt sich ganz normal, seit Schmidt die Schwellung an seinem Unterleib festgestellt hatte. Kein Anzeichen, dass dem Hund etwas fehlte.
Am frühen Mittag die nächstgelegene Eckkneipe aufzusuchen war für ihn ungewohnt und fühlte sich verboten an. Dennoch steuerte Schmidt zielstrebig auf eine zu. Zwei Trinker, ein Kellner, schwaches Licht. Der Geruch von kaltem Bier, Bohnerwachs und gestriger Hausmannskost. Würstchen und
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