Der Mantel - Roman
Bildschirm, ohne ihn eines Blickes zu würdigen: »Herr Schmidt, wenn Sie mit meiner Arbeit unzufrieden sind, werde ich mich bessern. Vielleicht bin ich derzeit etwas abgelenkt. Aber das ist auch alles. Herrn Wimmer soll das auf keinen Fall berühren. Wenn ich das nicht lösen könnte, müssten Sie sogar daran denken, sich von mir zu trennen. Dafür ist das Mandat einfach zu wichtig für die Kanzlei.« Einen Moment schaute sie aus dem Fenster. »Aber ich möchte es so belassen wie bisher, dass wir Beruf und Privatleben trennen. Und dass wir das beide gleichermaßen respektieren.« Nun drehte sie den Kopf und schaute ihn an. Schmerzlich konzentriert und fordernd zugleich.
Er hielt ihrem Blick stand. Bemühte sich, ihrem Druck nicht zu weichen. Natürlich ging etwas extrem Wichtiges in ihr vor. Eine Angelegenheit, bei der Fürsorge vor Diskretion und Abstand gehen musste. Er nahm seinen Mut zusammen: »Frau Graseder, lassen Sie uns einen kleinen Spaziergang zusammen machen.«
»Ich muss nach Hause, Fabian erwartet mich.«
»Das kann ich mir fast nicht vorstellen«, antwortete er patzig.
»Sie sind zudringlich«, erwiderte sie schneidend.
»Dann sagen Sie mir bitte, mit wem haben Sie da telefoniert? Wer verlangt von Ihnen, dass Sie diese Stelle aufgeben? Und warum? Wenn Sie meinen, das geht mich nichts an, irren Sie sich!« Nun war auch er laut geworden. Er hatte sich im Türrahmen aufgebaut und starrte sie wütend an.
»Zum letzten Mal, Herr Schmidt, es ist meine Sache. Und es würde uns allen nicht guttun, wenn wir darüber reden. Ich gehe jetzt. Einen schönen Abend.«
Sie riss ihre Umhängetasche vom Rollwagen neben dem Schreibtisch und sprang auf, um sich zur Tür zu wenden. Schmidt kannte sich selbst nicht mehr. Als sie auf ihn zukam, hielt er sie grob am linken Oberarm fest und stieß sie in den Raum zurück. Er brüllte nun, das gemütliche Gesicht mit dem schütteren Lockenrahmen rotfleckig und außer sich vor Aufregung: »Nicht guttun? Ich bekomme schon Alpträume wegen der Situation. Ohne zu wissen, was eigentlich los ist mit Ihnen. Meine Mandanten leiden, die Kanzlei leidet. Und ich sehe doch, wie Sie sich quälen, wie ich es noch nie vorher erlebt habe. Und mittlerweile erreicht es auch mich. Es reicht!« Hinter ihm war der Hund aufgetaucht, bellte dunkel, schwer ob der ungewohnten Aufregung im Haus.
Sein ungewohnter Wutausbruch und der drohende Hund ließen ihren Widerstand zusammenbrechen. Sie starrte leer auf den Bildschirm, während sie tonlos zu sprechen begann: »Sie haben es nicht anders gewollt, Herr Schmidt. Weil Sie nichts sehen. Weil Sie, ich muss Ihnen das sagen, naiv sind. Und gedankenlos. Dabei sind Sie so ein guter Mensch. So ganz anders als Ihr Bruder.« Ihre sonst so geraden Schultern waren nach vorne gefallen.
Schmidt trat einen verstörten Schritt in den Raum: »Mein Bruder? Was hat Franz damit zu tun?« »Was er damit zu tun hat? Das sage ich Ihnen: alles, alles. Er hat so viel Schlechtes in mein Leben gebracht. Ich verdanke ihm nur Fabian. Und Sie. Deshalb will er, dass ich von Ihnen weggehe.«
Schmidt hatte das Gefühl, dass der Boden unter ihm weich wurde wie ein Sumpf. Er machte zwei unsichere Schritte zur Seite und ließ sich wie ein nasser Sack auf den Stuhl an ihrem kleinen Tischchen fallen, das gegenüber ihrem Computerplatz an der Wand stand. Er rang schwer atmend nach Worten: »Franz? Sie wollen damit sagen, Franz ist der Vater von Fabian? Das ist doch ausgeschlossen!«
Sie drehte sich mit ihrem Bürostuhl zu ihm hin, der er in ihrem Rücken saß: »Nichts ist ausgeschlossen. Aber ich werde mir mein Leben nicht noch weiter von ihm verpfuschen lassen.«
»Ich verstehe nicht ganz. Wie soll das alles gekommen sein? Ausgerechnet mein prinzipienstrenger Bruder?« Er hatte fast geflüstert.
Sie lachte kurz und heiser: »Es ist mehr als fünfzehn Jahre her. Ich kam aus dem Bayerischen Wald nach München. Zur Regierung von Oberbayern. Er leitete eine kleine Abteilung. Er war sehr aufmerksam. Und ich das harmlose Mädchen vom Lande, gerade dreiundzwanzig Jahre alt. Irgendwann passierte es. Er verführte mich. Ich war verliebt. Aber auch stolz. Wir sahen uns ein- bis zweimal in der Woche, meist in meiner kleinen Wohnung. Er war verheiratet, mit Kind. Ich hoffte, er würde sich trennen. Heute weiß ich, er dachte keinen Moment daran. Aber er erzählte mir viel von seinem Leben. Er hatte wohl niemanden, dem er sich anvertrauen konnte. So erfuhr ich von Ihnen. Sie kamen oft
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