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Der Marschenmörder

Der Marschenmörder

Titel: Der Marschenmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Brorsen
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ist sehr schwach“, flüstert Hanne Schwarzkopf ihm zu. „Hat nur um ein Glas Wasser gebeten und fragt andauernd nach den Seinen.“ Seufzend fügt sie hinzu: „Und Jakob ist nicht im Stande, es ihm zu sagen.“
    Friedrich Rötger atmet tief durch, gibt sich einen Ruck und tritt an die Küchenbank.
    Timm starrt zur Decke, knirscht mit den Zähnen. „Wat is los? Worüm seggt mi keeneen wat? Wo sünd mien Öllern, mien Bröder, mien lütt Anna?“ Er bemerkt Rötger. Blinzelt ihn an. Erschrickt. Eine Amtsperson? Oder gar ein Kriminaler?
    Jakob Schwarzkopf ist hinzugekommen, streichelt Timms linken Oberarm: „Dat is Dokder Rötger ut Itzeho.“ Er zieht einen Stuhl heran, bietet Justizrat Rötger den Platz an, während er selbst stehen bleibt.
    „Ich habe Ihnen etwas Trauriges mitzuteilen, Herr Thode. Ihre Eltern und Geschwister sind tot. Auch Abel konnte sich nicht retten.“
    Aufmerksam beobachtet Rötger die Reaktion. Timm schreit auf. Wirft sich auf den Bauch. Beißt ins Kopfkissen. Schluchzt und wimmert. Und Friedrich Rötger ist sich sicher: Der junge Mann ist ein bedauernswertes Häufchen Unglück.
    „Das Beste ist, wir lassen ihn erst mal allein.“ Jakob Schwarzkopf legt dem Justizrat die Hand auf die Schulter. Der lässt den Blick nicht los von dem schluchzenden Timm, erhebt sich zögernd und folgt dem Bauern in die Goode Stuuv. Viel gäbe es zu besprechen. Doch die Männer sitzen sich an dem runden, sorgfältig gedeckten Tisch schweigend gegenüber, während Hanne mit vorgetäuschter Geschäftigkeit Tee einschenkt und Kleingebäck serviert.
    Jakob Schwarzkopf steht auf und holt aus dem mächtigen Stubenschrank eine Flasche Halbbittern und zwei Gläser. „Ich glaub’ den könn’n wir brauchen.“
    Doch Rötger winkt ab. Was er jetzt braucht, ist ein klarer Kopf.
    Johannes, der nach dem Melken die Pferde und die Schweine versorgt hat, schaut zur Tür herein, will sie schnell wieder schließen, als er den hoogen Besöök erblickt.
    Der Justizrat steht auf: „Kommen Sie doch herein, Herr Schwarzkopf.“ Unschlüssig bleibt Johannes in der Tür stehen, blickt zum Vater: „Weet he allens?“ Jakob Schwarzkopf nickt. Als der Sohn sich anschickt, in die Küche zu gehen, packt Hanne mit beiden Händen seine Unterarme: „Lat em in Rooh!“
    Johannes reißt sich los: „Ik will weeten, wat passeert is mit mien besten Fründ Jehann! Mit mien sööte Abel!“
    Die Mutter greift erneut zu, zaghafter diesmal: „Ik beed di, Jung, lat em sik besinnen.“ Sie sieht zu Friedrich Rötger herüber: „Un nahher ward de Herr Rood mit em snacken.“
    Dieser hat die unvermittelt heftige Szene überrascht beobachtet. Woher die Wut des jungen Schwarzkopf? Er erinnert sich, aus ersten Gesprächen mit dem Dorfgendarm herausgehört zu haben, dass Johannes ein Auge auf Abel geworfen hatte, die ihn aber mit entwaffnender Keckheit abwies: „Wat wullt du mit ’n Kööksch? Söök di ’n Buurndochder.“ Auch war von einer geradezu blutsbrüderlichen Freundschaft mit Johann, dem Drittältesten der Thode-Söhne, die Rede. Und schließlich weiß Friedrich Rötger, dass eine Tragödie dieses Ausmaßes bisweilen einen irrationalen, unterschwelligen Zorn auf Davongekommene zur Folge hat.
    Immerhin hat Johannes’ Erscheinen und seine hinter unbeherrschter Wut versteckte Verzweiflung die Schweigsamkeit gebrochen. Außerdem erkennt der Ermittler in dem Schwarzkopf-Sohn einen wichtigen Zeugen. So fragt er, als sich dieser an den Tisch gesetzt hat, eher beiläufig:
    „Können Sie sich erklären, Herr Schwarzkopf, warum Vater Thode, seine Frau und die Söhne ganz oder zumindest teilweise bekleidet waren, obgleich sie, bis auf Johann, im Schlaf überfallen wurden?“
    Zu seiner Überraschung antwortet der Vater: „Das hat seine ganz eigene Bewandtnis. Johann, der Alte, hatte schon immer eine unerklärliche Angst vor Blitzschlag. Und als im Juni ein kalter Schlag das Haus traf, steigerte sich das. Er brachte vor kurzem sogar die Kassette mit Bargeld, Wertpapieren und Silberschmuck zu mir. Bis ich vor ungefähr zwei Wochen sagte: ,Jehann, de Blitz kann bi mi jüst so gau inslagen as bi di.‘ Danach hat er mehrmals den Kasten über Nacht im Backhaus untergebracht. Und der Familie streng befohlen, zum Schlafen nur noch Jacke oder Oberkleid auszuziehen.“
    „Ein Punkt für Timm“, stellt Rötger fest. Und Jakob Schwarzkopf fragt verwundert: „Wieso für Timm?“
    14
    Aufrecht sitzt Timm auf der zum Krankenlager umfunktionierten

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