Der Marschenmörder
schüttelt den Kopf: „Papiere, glaub’ ich. Schmuck von meiner Mutter. Silberbestecke. Vielleicht auch Bargeld. Ich hab’ nicht reingeguckt.“
Rötger blickt zu Hanne hinüber, die sich am Küchenschrank zu schaffen macht. „Sie haben die Kassette sichergestellt?“ Hanne ist verwirrt. Begreift nicht, dass der Holzkasten wichtiger ist als die vielen offenen Fragen nach dem Verlauf der Tragödie und Timms Rettung.
Jakob Schwarzkopf, der sich erhoben hat, als Johannes mürrisch und wortlos die Goode Stuuv verließ und an die Arbeit ging, hat Rötgers letzte Frage mitbekommen. „Sie ist oben. In meinem Alkoven. Ich hol sie.“
Scharf beobachtet der Justizrat Timms Miene, als der Bauer die Kassette auf den Küchentisch wuchtet. Aber Timm betrachtet emotionslos den Kasten und schweigt. „Der Schlüssel fehlt“, stellt Jakob Schwarzkopf fest. Beide blicken Timm fragend an. Der zuckt die Schultern: „Weiß nicht.“
Nicht nachlassen, spornt Rötger sich an und wendet sich dem Hausherrn zu: „Haben Sie ein brauchbares Instrument?“ Jakob Schwarzkopf ist irritiert: „Aufbrechen?“ Dann aber fällt ihm ein, dass eine Amtsperson anwesend ist, der Ermittler sogar.
In wenigen Minuten hat er mit einem schweren Schraubenzieher die Holzkiste geknackt. Und Friedrich Rötger braucht kaum länger, um den Inhalt abzuschätzen: Aktien und Obligationen im Wert von mehr als 40 000 Talern, teurer Schmuck, edles Tafelgeschirr und 2000 Silbertaler. Jakob Schwarzkopf kann sich nicht verkneifen, seinen Lieblingsspruch anzubringen: „Een gooden Buur hett sien Hoff noch mool mang de Wäsche liggen.“
Rötger lächelt säuerlich, zeigt auf die Kassette: „Die ist vorerst beschlagnahmt.“ Und fügt, auf Timms verständnislosen Blick, hinzu: „Sie erhalten alles zurück. Nach Klärung des Falles.“
Erleichtert bemerkt Timm, dass der Herr Rat aufsteht, sein Jackett zuknöpft, nach Stock und Zylinder greift. „Noch eine Frage: Haben Sie die Täter gesehen? Vielleicht erkannt? Und wie viele waren es?“
„Fünf oder sechs. Ich weiß nicht genau. Ich war total in Panik. Sie standen bei der Scheune. Dann hat einer auf mich geschossen.“
Rötger hebt ruckartig des Kopf: „Geschossen?“
Timm nickt eifrig: „Ja. Zweimal sogar.“
Er hat die Geschichte auch dem Doktor Goetze erzählt, der kurz nach Rötgers Ankunft das Haus verließ, dem Justizrat aber noch nicht davon berichtete. Als der sich zur Tür wendet, offenbar nicht neugierig auf Einzelheiten, ruft Timm ihm nach: „Mehr weiß ich nicht!“
Rötger, die Hand schon am Türknauf, wendet sich ihm zu: „Oh doch, Herr Thode. Sie wissen mehr. Und Sie werden es der ermittelnden Commission berichten. Übermorgen im Itzehoer Justizamt. Beim ersten Verhör.“
15
„Tscha. Da haben die uns einen hübschen Brocken vorgesetzt. An dem werden wir zu knabbern haben.“ Hans Peter Jacobsen lehnt sich in dem Schreibtischsessel zurück, greift zum Weinglas, hält es gegen das Licht. „Also. Auf gute Zusammenarbeit!“
Friedrich Rötger prostet zurück. Seinen Verdruss lässt er den Kollegen nicht merken. Auf seinen gehorsamsten Antrag um die Bildung einer Commission hat das Präsidium des Obergerichts in Glückstadt ihm den kurz vor der Pensionierung stehenden Justizrat und Landrichter zugeordnet. Der Gerichtsschreiber Poel möge außerdem weiterhin das Protokoll führen.
Persönlich hat Rötger nichts gegen den ihm seit langem bekannten Juristen. Ein Mann, der sorgfältig abwägt, bevor er eine Entscheidung trifft. Möglicherweise sogar ein Pendant zu seinem eigenen, sich bisweilen ins Cholerische steigernden Ehrgeiz.
Immerhin haben die Glückstädter dem Zusatz seines Antrags stattgegeben, dass es den ermittelnden Richtern freistehen möge, nach Umständen zu handeln. Und das bedeutet: Zeugen vernehmen, Haussuchungen durchführen, Verdächtige arretieren, Polizeieinsätze anordnen.
Jacobsen beugt sich aus dem Sessel hervor: „Was ist mit dem Überlebenden? Man hört so allerhand.“
Rötger nickt: „Wohl wahr. Und eigentlich verständlich. Er ist der Alleinerbe. Und nicht besonders beliebt. Da brodelt die Gerüchteküche. Aber in zwei Stunden haben wir ihn hier. Und können Fragen stellen.“
Er reicht dem Kollegen die Akte herüber: „Das bisherige Ergebnis. Ziemlich mager.“ Was dort von Poel mit buchstäblich spitzer Feder notiert ist, lässt den weißhaarigen Justizrat immer wieder schaudernd aufseufzen. Schließlich gibt er das Konvolut zurück: „Und
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