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Der Marschenmörder

Der Marschenmörder

Titel: Der Marschenmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Brorsen
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die Räuberbande? Hat sich in Luft aufgelöst?“
    Friedrich Rötger starrt grimmig ins Glas: „So scheint es. Auf und davon. Und ohne nennenswerte Beute.“
    Jacobsen stützt den Spitzbart auf die geballte Linke: „Warum ließen sie es darauf ankommen, bei der als sparsam bekannten Familie nichts zu erbeuten? Gingen das Risiko gefährlicher Gegenwehr ein? Höchst seltsam.“
    „Ich weiß, es reimt sich alles schwer zusammen.“ Friedrich Rötger blickt zur Standuhr: „Wir haben noch ein bisschen Zeit. Gönnen wir uns ein kleines Frühstück. Und dann nehmen wir den einzigen Tatzeugen in die Mangel.“
    Pünktlich um zehn erscheint Timm zur Vernehmung. Sorgfältig frisiert und in gepflegter Kleidung, die Hanne gewaschen und gebügelt hat. Jakob Schwarzkopf, der auf Rötgers Vorschlag für Timm die Nachlassregelung und Vermögensverwaltung übernommen hat, begleitet seinen Schützling. Die Einladung, Platz zu nehmen, schlägt er aus. Er weiß, dass selbst als Timms Kurator seine Anwesenheit während des Verhörs unerwünscht ist und entschuldigt sich mit unaufschiebbaren Behördengängen.
    „Nun erzählen Sie mal“, beginnt Friedrich Rötger, kaum dass die Tür hinter Jakob Schwarzkopf ins Schloss gefallen ist. Und fügt, mit Blick auf den am Schreibpult stehenden Poel hinzu: „Aber langsam, damit alles fein säuberlich zu Papier kommt.“
    Timm zögert: „Wo soll ich anfangen?“
    „In medias res“, ermuntert ihn Jacobsen, der Lateiner, und auf Timms verständnislosen Blick: „Mitten hinein in die Sache. Sagen wir: Als Sie erwachten vom Feuer.“
    Timm berichtet, wie er durch geheulartigen Lärm erwachte und durch eine unnatürliche Helligkeit. Im Haus herrschte Totenstille, und er nahm an, die Eltern und Geschwister hätten sich bereits gerettet und seien vielleicht schon mit dem Löschen beschäftigt. Panikartig ergriff er die Kassette, die ihm sein Vater fünf Tage zuvor anvertraut hatte, und sprang aus dem Fenster.
    Hans Peter Jacobsen hebt die Hand, will eine Zwischenfrage stellen. Aber Rötger winkt ab. Erst wenn Timm seine Angaben beendet hat, soll das Verhör beginnen.
    „Weiter“, drängt Justizrat Rötger. „Erzählen Sie weiter.“ Der drohende Unterton verunsichert Timm. Er spürt, dass die Ermittler an seiner Geschichte zweifeln, Ungereimtheiten entdecken. Geradezu körperlich fühlt er ihr Misstrauen.
    Das große Bureau im Itzehoer Justizamt, der riesige Schreibtisch, die hohen Fenster, die prall mit Aktenordnern gefüllten Schränke – das alles schüchtert ihn ein. Dazu die beiden schwarzgekleideten Respektspersonen. Ermittler, die ihr Opfer ans Messer liefern wollen.
    Ängstlich schielt er zu dem neuen, ihm bislang unbekannten Herrn Rat hinüber, sucht Blickkontakt. Hans Peter Jacobsen begegnet seinem Blick mit freundlicher Distanz. „Sie sprangen also aus dem Fenster. Die Kassette unterm Arm?“
    Timms flatternder Atem beruhigt sich. „Nein, ich hab sie rausgeworfen. Und bin dann hinterher. Und dann sah ich sie.“
    „Wen?“, fährt Rötger dazwischen.
    Timm wendet sich bewusst wieder dem neuen Herrn Rat zu: „Erst hab ich gedacht, da sind sie ja. Mein Vater und die andern.“
    „Wo genau standen sie?“ Erneut ignoriert Rötger die mit dem Kollegen getroffene Absprache, den Zeugen erst einmal ohne Unterbrechung sein Erlebnis schildern zu lassen. Timm schweigt.
    Jacobsen knüpft an Rötgers Frage an: „War es nicht zwischen Backhaus und Scheune?“
    Timm nickt: „Mehr nach der Scheune hin. Ich hab sie angerufen: Da seid ihr ja. Oder so ähnlich. Dann hat einer geschossen. Die Kugel sauste direkt an meinem Kopf vorbei.“ Er atmet tief durch, als schrecke ihn die Erinnerung.
    „Und dann?“ Über seinen Kneifer hinweg fixiert Jacobsen den Hauptzeugen.
    „Dann hab ich die Kassette genommen und bin weggerannt. Und dann hörte ich noch einen Schuss. Bei Schwarzkopf haben sie mich gleich entdeckt und reingeholt. Mehr weiß ich nicht.“
    Gemächlich zündet sich Friedrich Rötger eine Virginia an. Und bemerkt, so beiläufig wie möglich: „Das Hoftor stand offen.“
    Instinktiv spürt Timm die Gefahr. Der Doktor Rötger aus Itzehoe weiß also, dass das hohe, stabile Tor mit den scharfen Eisenspitzen sowie der breite Wassergraben rund ums Gehöft das Thode-Anwesen zu einer Art Festung machten. Siedend heiß fällt ihm ein, dass er nach dem Transport des toten Vaters das Tor nicht verschlossen hat.
    „Sieht aus, als wenn jemand die Räuber hereingelassen hat“, bohrt Rötger

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