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Der Marschenmörder

Der Marschenmörder

Titel: Der Marschenmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Brorsen
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Taschengeld verspielte.“
    Mohrdieck schüttelt verständnislos den Kopf: „Er denunziert ohne lange Überlegung zwei aus seinem Bekanntenkreis. Ziemlich einfallslos.“
    „Nicht unbedingt. Beide sind Schlachter von Beruf. Und auf die hatten unsere Vorgänger ein besonderes Auge. Schließlich ist ein Messer unter den Tatwerkzeugen. Und ein kurzstieliges Beil, wie es zum Knochenhauen benutzt wird. Schau’n Sie sich außerdem die Festnahmen an. Darunter verdächtig viele Schlachter. Und, wie sich am Ende herausstellte, allesamt ehrbare Handwerker, die nur ihres Berufes wegen in Verdacht geraten sind.“
    Schütt schließt die Akte, verstaut sie im Schreibtisch. „Ich denke, wir verfolgen die Lügengeschichte nicht weiter. Reine Zeitverschwendung.“ An Mohrdiecks Tonfall merkt er, dass dieser mit seinem Vorschlag nicht einverstanden ist.
    „Natürlich lügt er. Trotzdem bin ich der Meinung, wir lassen ihn den Faden weiterspinnen. Ich würde gern erfahren, wie das angebliche Komplott zustandegekommen ist. Da könnte sich leicht ein Körnchen Wahrheit herauskristallisieren. Denken Sie nur an gestern. Wie er die Taten seiner Mitverschwörer schilderte. Das lässt in vielen Einzelheiten Rückschlüsse auf sein eigenes Vorgehen zu.“
    „Sie haben Recht.“ Schütt, einmal mehr beeindruckt vom Scharfsinn seines Kollegen, stimmt zu. „Er wird zwar weiterhin lügen. Aber damit gibt er uns immerhin die Chance, kleine Wahrheiten zu entdecken. Wie gestern, als er die Sache mit der Mörderbande offenbar völlig vergessen hatte.“
    Mohrdieck fühlt sich bestätigt. „Ja. Die ist endgültig vom Tisch. Sie sehen: Je mehr er plaudert, umso mehr bleibt für uns hängen. Hauptsache, er hüllt sich nicht plötzlich in trotziges Schweigen. Dann können wir einpacken. Denn wir haben, genau besehen, kein einziges vor Gericht verwendbares Beweismittel gegen ihn in der Hand.“
    23
    „Nicht gut drauf heute?“ Aufmerksam und süffisant zugleich blickt Mohrdieck seinem Gegenüber ins Gesicht. „Mir scheint, die kalte Kost bekommt Ihnen nicht.“
    Timm, blass und übernächtigt, atmet tief durch. „Die Zelle. Die schlechte Luft. Das trübe Licht. Ans Fenster muss ich kriechen, wenn ich lesen will.“
    „Sie lesen gern?“ Schütt, der weiß, dass Timm eine Leseratte ist, gibt sich freundlich interessiert. „Was denn so alles?“
    „,Robinson Crusoe‘ hab ich schon zweimal durch. Auch den ,Lederstrumpf‘. Und der ,Werther‘ ist mir zu hoch. Solche Bücher, die aus lauter Briefen bestehn, mag ich nicht. Und außerdem …“
    „Außerdem?“ Mohrdieck horcht auf, als Timm stockt.
    „Außerdem das Essen. Wasser und Brot. Ich kann’s doch bezahlen. Und Frau Tietjens kocht gut.“
    „Stimmt. Solange Sie die Wahrheit sagen. Die reine Wahrheit. Ohne Ausflüchte. Dann gibt es Essen nach Ihrer Wahl.“ Schütt bewahrt den väterlichen Ton. „Wie, zum Beispiel, sind Sie darauf gekommen, die beiden Schlachter als Täter zu benennen?“
    „Das alles fing an am Sonntag vorher. Bei Johann Bielenberg auf der Kegelbahn. Wir drei waren allein. Johann kam zuerst auf den Gedanken. Er habe sich was ausgedacht. Wenn ich schweigen könnte. Dann haben sie mir den Plan verraten. Sie sagten, ich sollte ihnen zehntausend Taler dafür geben. Hinterher.“
    Hart fährt Mohrdieck dazwischen: „Und das haben Sie offen auf der Kegelbahn besprochen? Unmöglich! Sagen Sie die Wahrheit!“
    Timm zuckt zusammen. „Es ist die Wahrheit. Es war früh am Morgen. Wir waren allein. Sie haben mich verführt.“
    „Verführt? Wozu? Ihre Familie umzubringen mit ihrer Hilfe? Abzuschlachten wie Vieh?“ Wie immer, wenn er erregt ist, springt Mohrdieck auf. Geht unruhig auf und ab. Bleibt stehen vor Timm. „Angenommen – nur angenommen – wir würden Ihnen die Geschichte glauben. Wir würden für bare Münze nehmen, zwei geldgierige Halunken hätten Sie überredet, verführt. Dann frage ich Sie: Was war mit Johann?“
    Ratlos blickt Timm zu Schütt hinüber. Der nickt kurz: „Sie sagten, die Beidenflether hätten ihn draußen ,totgemacht‘. Bevor Sie sie gegen halb zehn ins Haus ließen. Wo draußen?“
    „Ich weiß nicht. Auf dem Hof vielleicht. In der Scheune. Im Schauer. Ich hab’s doch nicht geseh’n.“
    „Sie wissen, wie Johann gestorben ist.“ Mohrdieck setzt sich wieder Timm gegenüber, die geballten Hände auf dem Tisch. „Und Sie wissen auch, dass er noch lebte zu dem Zeitpunkt, als die angeblichen Täter den Hof längst verlassen hatten.

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