Der Marschenmörder
Kopf.
„Ich. Habe. Es. Nicht. Getan.“ Jedes Wort betont Timm wie eine Beschwörungsformel. Und fügt leise hinzu: „Ich hätte es längst eingestanden. Ich hätte keine Ruhe auf der Welt mehr, wenn ich es getan hätte.“
Mohrdieck sucht Blickkontakt mit dem Kollegen. Der schüttelt kaum merklich den Kopf, als wolle er signalisieren: So kommen wir nicht weiter.
Mohrdieck stützt das Kinn auf den Daumen der geballten Rechten. Lässt in Gedanken den entscheidenden Augenblick des gestrigen Gesprächs Revue passieren. Ja. Das war‘s! Die zweite Frage vor der ersten. Ich versuch’s noch einmal. Aber Vorsicht! Ihn nicht anschauen, nicht suggerieren! Ganz beiläufig einen scheinbar belanglosen Umstand erwähnen.
Er geht ans Fenster. Blickt hinaus. „Wer hat Ihnen geholfen?“
Timm atmet tief durch. Schaut unsicher um sich: „Johann Bielenberg und Christian Hinrichsen.“
Verblüfftes Schweigen. Die Atmosphäre in dem sachlich nüchternen Bureau ist plötzlich zum Zerreißen gespannt. Bewusst langsam geht Mohrdieck zum Schreibtisch zurück. Setzt sich. „Nun. Erzählen Sie.“
Timm beißt sich auf die Unterlippe. Dann sprudelt es förmlich aus ihm heraus: „Sie waren noch nicht da, als Vater und Mutter kamen. Sie kamen erst um halb zehn. Johann hatten sie schon totgemacht, als ich sie einließ. Sie gingen in die Knechtskammer und schlugen meine anderen Brüder tot. Dann führte ich sie in die kleine Stube. Ich blieb auf der Diele stehen. Sie schlugen meine Eltern und meine Schwester tot. Ich konnte es seh’n. Ganz zu haben sie die Tür nicht gemacht. Meinen Vater und meine Mutter hat Johann Bielenberg totgeschlagen. Mit einem Knüppel. Auch hatten beide ein Schlachtermesser, womit sie zustachen. Meine Mutter jammerte sehr. Christian Hinrichsen tötete meine Schwester und stach sie wie von Sinnen. Er hatte auch ein Beil. Sie jammerte fürchterlich. Reimer schlug er nur einmal. Dann war der weg. Christian Hinrichsen ging nach der Köchin. Sie wurde zuletzt totgemacht. Ich führte ihn zu ihr hin. Er schlug ein paarmal mit der Axt auf ihren Kopf. Da war sie tot. Dann gingen sie zur Scheune und steckten sie mit Zündhölzern an. Dann zurück ins Haus, zogen das Stroh unter dem Bettzeug heraus und zündeten es an.“
Schütt winkt den Gefängniswärter zu sich: „Abführen!“ Und zwei Tage kalte Kost!“ Er wendet sich Timm zu: „Das ist unsere Antwort auf Ihren infamen Versuch, die Schuld auf andere abzuwälzen.“
„Nicht zu glauben. Einfach nicht zu fassen. Er zieht zwei Unschuldige in die Sache rein. Ob er wirklich glaubt, mit solchen Einfällen seinen Kopf retten zu können?“ Mohrdieck zieht ein Taschentuch und wischt sich den Schweiß von der Stirn.
Schütt blättert in den Protokollen. Er erinnert sich, gelesen zu haben, dass es sich bei Bielenberg und Hinrichsen um zwei Schlachter aus Beidenfleth handelt. Sie wurden, wie fast alle Männer des Dorfes, bereits in den ersten Tagen nach dem Verbrechen von Rötger und Jacobsen überprüft.
„Hier haben wir sie. Johann Bielenberg, Besitzer einer Schlachterei und einer Gastwirtschaft mit Kegelbahn. Christian Hinrichsen, Schlachtergeselle und Bielenbergs Schwiegersohn. Arbeitet im Betrieb des Schwiegervaters.“
Schütt beugt sich über die Akte. „Bielenberg weckte seinen Schwiegersohn gegen ein Uhr dreißig. Der machte sich auf und traf vor der Haustür Reimer Thode an, Timm Thodes Onkel. Gemeinsam eilten sie nach Groß Campen zum brennenden Hof. Hinrichsen reihte sich sofort bei den Helfern ein. Etwas später kam auch Bielenberg hinzu. Beide traten Stunden später, nachdem die Leichen geborgen waren, völlig erschöpft den Heimweg an.“
Wütend knirscht Mohrdieck mit den Zähnen: „Ordentliche Leute, die hart arbeiten. Und keine Minute zögerten, als es galt, zu helfen und zu retten.“
„Naja.“ Schütt hat weitergeblättert. „Hier ist ein Zusatz. Beide sind im Dorf als raue Burschen bekannt. Hinrichsen hält sich in seiner Freizeit vorwiegend auf der Kegelbahn auf. Wird schnell aggressiv, besonders, wenn er getrunken hat. Gilt aber als fleißiger Arbeiter und ehrlicher Mann. Seine Aussage und die seines Schwiegervaters wurden durch Zeugen bestätigt.“
„Was um alles in der Welt mag den Thode veranlasst haben, gerade die Beiden zu beschuldigen?“
„Nun, er hat ohne Überlegung zwei Leute benannt, die ihm gerade einfielen. Und er kannte Hinrichsen und Bielenberg von seinen Besuchen auf der Kegelbahn, wo er am Wochenende oft sein
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