Der Marschenmörder
Sie wissen, dass ihm nach ersten Schlägen mit einer Keule, die leider nicht mehr auffindbar ist, eine Zeitlang später der Kopf mit einem Hammer zertrümmert wurde. Sie haben Johann erschlagen! Sie allein!“
Er beugt sich über den Tisch. Nur eine Handbreit ist sein Gesicht von Timms entfernt. „Mann! Thode! Sagen Sie es endlich!“ Hörbar stößt Mohrdieck die Luft aus. Lehnt sich zurück. Lässt Timm nicht aus den Augen.
Timm starrt ihn an. Schielt kurz zu Schütt hinüber, als erwarte er Hilfe, Einspruch gegen die ungeheuerliche Anschuldigung.
Schütt blättert wie abwesend in den Akten. Und selbst der unauffällige von Prangen steht, den Federhalter zwischen Daumen und Zeigefinger, wie erstarrt am Schreibpult.
Timm schlägt die Augen nieder. Blickt gequält auf seine groben Hände. „Ja. Ich habe überhaupt alles allein getan.“
Tickt die große alte Standuhr in der Ecke des Bureaus lauter? Schrammt die Feder des Protokollführers härter als sonst über das Papier, als dieser mit leicht zitternder Hand niederschreibt: „Antwort: Ja. Ich habe überhaupt alles allein getan“–?
Mohrdieck hat den Eindruck, dass in der bedrückenden Stille Geräusche wachwerden, die er bislang nicht vernommen hat. Zugleich stellt er verwundert fest, dass er keinen Triumph verspürt. Keine Genugtuung, nach wenigen Wochen das Nahziel erreicht zu haben: das Geständnis.
„Genug für heute“. Er winkt Tietjens zu sich, der in soldatischer Haltung mit unbewegtem Gesicht an der Tür steht: „Nehmen Sie ihn mit. Und geben Sie ihm ein vernünftiges Abendbrot.“
Tietjens legt Timm die Hand auf die Schulter: „Gehn wir.“
Timm erhebt sich schwerfällig, sieht Mohrdieck mit seltsam müden Augen an: „Ich habe jetzt die volle Wahrheit gesagt. Es ist niemand auf der Welt, der dabei geholfen hat und davon weiß.“
Als Timm an Tietjens Seite den Raum verlassen hat, löst sich die Spannung. Eilfertig legt Obersekretär von Prangen den Herren Oberjustizräten das Vernehmungsprotokoll zur Unterschrift vor. Datiert auf den 26. Mai 1867.
„Mein lieber Mohrdieck, ich kann nicht umhin, Ihnen meine Anerkennung zu zollen.“ Erstmals seit Beginn ihrer Zusammenarbeit spricht Schütt den Kollegen namentlich an. „Nur Ihrer geschickten Befragung ist der Erfolg zu danken.“
Mohrdieck fühlt sich geschmeichelt. Doch er ist selbstkritisch genug, sich den Ausgang der Vernehmung nicht allein zuzuschreiben. „Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel, bester Freund. Letztlich haben Sie durch genau die richtigen Zwischenfragen bewirkt, dass die Sache nicht einseitig gelaufen ist. Dass er geredet hat, auch als es eng wurde für ihn.“
Er tippt aufs Protokoll: „Das hier ist trotz allem Stückwerk. Wo ist das Motiv? Was wissen wir vom Ablauf der Tat? Und nach wie vor stellt sich die Frage: Wie konnte er es allein schaffen? Unvorstellbar!“
Schütt nickt zustimmend: „Hauptsache, er widerruft morgen nicht. Redet sich auf einen Schwächeanfall heraus. Auf Erpressung durch Nahrungsentzug und Isolation. Wir müssen ihn, soweit es möglich ist, bei Laune halten. Meinetwegen mit schmackhafter Kost. Vergessen Sie nicht, er ist ein Fresser.“
„Ein altbewährtes Mittel“, erwidert Mohrdieck lachend, „Zuckerbrot und Peitsche.“ Sofort wird er wieder ernst. „Schritt für Schritt soll er uns den Tatablauf schildern. Das wird grausig, ist aber unumgänglich.“
„Was ist mit der Öffentlichkeit?“ Schütt nimmt ein druckfrisches Exemplar der Itzehoer Nachrichten zur Hand. „Eine Kurzmeldung dürfte vorerst genügen. Aber auch die wird einschlagen wie ein Blitzgewitter.“
„So ist es“, pflichtet Mohrdieck ihm bei. „Und deshalb halte ich es für übereilt, die Leute mit einer Horrormeldung zu schocken, bevor der Thode sein Geständnis gefestigt und mit Details untermauert hat.
„Wann sind Sie auf den Gedanken gekommen, Ihre Familie umzubringen?“ Kaum hat Timm gegenüber den Ermittlern Platz genommen, setzt Mohrdieck das Verhör fort.
„Sechs bis sieben Wochen vorher“, erinnert sich Timm. Und fährt, offenbar beeindruckt von Mohrdiecks sachlichem, beinahe freundlichem Ton ungefragt fort: „Ich bin immer verstoßen gewesen. Meine Brüder und mein Vater haben mir Unrecht getan. Bei der Arbeit und bei allem.“
„Sie fühlten sich also ungerecht behandelt. Aber haben Sie nicht selbst zu diesem Umstand beigetragen?“, wendet Schütt ein. „Warum denn hat Ihr Vater Sie als einzigen seiner Söhne mehrmals vom
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