Der Marschenmörder
anschließend Ihrer Schwester Anna Gesellschaft. Bis auch sie sich schlafen legte. Als gegen zehn Ihre Eltern eintrafen und sich sofort ins Schlafzimmer begaben, gingen Sie auf den Hof. Halfen Johann beim Ausspannen. Und erschlugen ihn im Wagenschauer.“
Timm presst die Lippen zusammen. Er weiß, die Sache mit Johann ist ein Knackpunkt für die Ermittler. Und ein Stolperstein, der ihn endgültig zu Fall bringen kann.
Schütt bohrt weiter: „Nun wird’s unvorstellbar. Sie gehen zurück ins Haus. Dort schlafen sieben Menschen. Und lassen sich, ohne Gegenwehr, von Ihnen totschlagen.“
„Nein. Anna hat sich gewehrt. Und meine Mutter, die hat gejammert.“
„Die Schwächsten leisteten also Widerstrand. Aber die Männer, Ihnen an Kraft weit überlegen, haben sich nicht gemuckt? Wem wollen Sie das erzählen?“
„Es war genau so, wie ich gesagt habe.“
Schütt beugt sich vor. „Herr Thode. Wir haben Obduktionsberichte. Wir wissen, wie oft Sie zugeschlagen haben. Halten Sie uns nicht länger zum Narren. Erleichtern Sie Ihr Gewissen. Sie werden sich besser fühlen danach.“
Timm zuckt die Schultern. „Es war, wie ich gesagt habe. Das können Sie mir glauben.“
„Eben nicht!“ Schütts Gesicht verhärtet sich. Er nickt Tietjens und Ahrens zu, die mit steinernen Mienen hinter dem Häftling stehen. „Abführen!“
„Wie geht es weiter? Was machen wir, wenn er stur bei seinem Zeitplan bleibt?“ Mohrdieck legt die gespreizte Hand an die Schläfe, starrt ins Vernehmungsprotokoll. „Das hier haut uns jeder Staatsanwalt um die Ohren.“
Schütt legt den Bleistift auf den Tisch, verschränkt die Arme. „Ich habe mir mehr erhofft von Ahrens. Ein Freund der Familie. Ging bei den Thodes ein und aus. Zugleich eine Respektsperson. Geachtet in der ganzen Marsch. Ich hoffte, der Thode würde ihm Dinge anvertrauen, die er uns verschweigt.“
„Tscha. Das hab ich auch erwartet. Schließlich haben wir ihn gerade deshalb angefordert. Aber er hat von vornherein abgeblockt. Siezt den Bengel. Lässt sich mit ,Herr Wachtmeister‘ anreden.“ Mohrdieck seufzt. Blättert in den Akten. „Naja. Schon verständlich, wenn man bedenkt, was er mitgemacht hat. Einer der Ersten am Tatort. Das Feuer. Die entsetzlich zugerichteten Leichen. Und nun der zweite Schock: das Geständnis. Da bricht eine Welt zusammen. Kein Wunder, dass er völlig verhärtet ist.“
„Behalten wir ihn trotzdem?“
„Auf jeden Fall. Bei dem ist der Thode auf Nummer sicher.“
Schütt nimmt den Bleistift. Betrachtet ihn nachdenklich. Knallt ihn auf den Tisch. „Ich hab eine Idee. Geistliche Betreuung. Ein vertrauliches Gespräch unter vier Augen. Vielleicht hilft das uns weiter.“
Mohrdieck verzieht das Gesicht. „Der Thode im Beichtstuhl? Dass ich nicht lache.“
Schütt lässt sich nicht entmutigen. „Ich denke da an Versmann. Der kennt sich aus im Umgang mit Gefangenen. Und hat schon manchem Verbrecher die Zunge gelockert.“
„Der Versmann!“ Mohrdiecks Zweifel sind wie weggeblasen. „An den hatte ich nicht gedacht. Der wäre einen Versuch wert.“
Propst Ernst Versmann, kraftvoller Prediger und aufrechter Politiker in der Ständeversammlung, genießt hohes Ansehen in Itzehoe. Er ist Herausgeber eines kirchlichen Gemeindeblattes und gründete 1854 gemeinsam mit Bürgermeister Poel eine Leihbibliothek mit 500 und eine Kinderbibliothek mit 300 Bänden. Sozial engagiert, kümmert er sich um Gefängnisinsassen und hat auch Erfahrung mit verurteilten Mördern.
Sofort stimmt er zu, als die Ermittler ihn um Mithilfe ersuchen. Zugleich macht er deutlich, dass er jegliche Bespitzelung ablehnt. „Ich werde mich bemühen, ein möglichst umfassendes Psychogramm zu erstellen. Einzelheiten über seine Taten werden Sie von mir nicht erfahren, auch wenn er darüber spricht. Das herauszufinden, meine Herren, ist Ihre Sache.“
Mohrdieck lässt sich seine Enttäuschung nicht anmerken. „Ich danke Ihnen. Ich bin sicher, dass auch Erkenntnisse seines Schuldbewusstseins und seiner Tätermotivation uns weiterhelfen werden.“
Noch am Abend sucht der Gottesmann den Gefangenen auf. Timm zeigt sich erfreut, es ist der erste Besuch seit seiner Festnahme. Vier Stunden unterhalten sie sich in gedämpftem Ton.
Tietjens, der sich mit Ahrens die Bewachung der Zellentür im Sechs-Stunden-Takt teilt, vernimmt nur Wortfetzen. Den Ermittlern kann er am nächsten Morgen lediglich mittteilen, Timm habe einmal aufgeschrien und danach eine Weile
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