Der Marschenmörder
das Thema im nächsten Verhör, und Timm bekennt mit überraschender Offenheit, 1862 vier- oder fünfmal mit der Dienstmagd Elsabe Kock aus Hohenaspe „konkubiert“ zu haben, bevor sie sich seinem Bruder Johann zuwandte. Der schwängerte sie prompt, Vater Johann entließ sie und zahlte durch Vermittlung eines Itzehoer Notars eine Abfindung von 426 Talern.
Verschämt erzählt Timm auch, er habe einmal mit Jakob Schwarzkopfs Dienstmädchen Cäcilia Schlüter Unzucht getrieben, als der Nachbar mit Frau und Sohn den Itzehoer Ochsenmarkt besuchte.
Freimütig berichtet er aus der „Suder Zeit“ beim Bauernvogt Jess. Von Jakob Schwarzkopf mit reichlichem Taschengeld versorgt, habe er einige Male ein Itzehoer Bordell aufgesucht, sich aber mit keinem der Mädchen eingelassen. „Denn in dieser Beziehung habe ich keine Wünsche.“
Als aber Mohrdieck auf Abels Tod zu sprechen kommt und andeutet: „Bevor Sie das Dienstmädchen erschlugen, ist nichts passiert?“, reagiert Timm so empört, dass er in seine Umgangssprache wechselt: „Ik heff se doothaut. Un sunst nix!“
„Das ist es! Da müssen wir nachhaken!“ Aufgeregt tippt Mohrdieck mit dem Bleistift auf eine Seite der vor ihm liegenden Akte.
Schütt, der ihm gegenübersitzt und sich ebenfalls in Protokolle, Polizeiberichte und Notizen vertieft hat, hebt überrascht den Kopf. Schon ist Mohrdieck aufgestanden, das Schriftstück in der Hand. Er umrundet den großen Schreibtisch, schiebt einen Stuhl heran, setzt sich neben den Kollegen.
„Schaun Sie hier. Eine der ersten Zeugenvernehmungen: die Tenzer. Ihre Aussage hat dem Thode ein Jahr Aufschub gebracht.“
Schütt rückt an seinem Kneifer, beugt sich über das von Rötger, Jacobsen und dem Gerichtsschreiber Poel unterzeichnete Aktenstück, liest aufmerksam das Protokoll der Vernehmung von Margarethe Tenzer. Und schlägt mit der flachen Hand aufs Papier. „In der Tat. Da liegt der Hund begraben.“
In Mohrdiecks Erregung mischt sich eine Spur von Euphorie. „Damit kriegen wir ihn endlich beim Wickel. Wir sagen ihm auf den Kopf zu, was bereits am Nachmittag geschehen ist: Die Ermordung der ersten drei Opfer. Dann ist seine Lüge, er habe alle im Bett umgebracht, geplatzt.“
Als traue er seinen Augen nicht, überfliegt Schütt noch einmal die entscheidenden Passagen der ein Jahr zurückliegenden Vernehmung. „Die Sache ist klar. Die Näherin hat Feierabend gemacht. Will sich in der Küche verabschieden. Annas Einladung zum Abendessen lehnt sie ab, weil sie noch eine Verabredung hat. Fragt aber nach den hungrigen Mäulern, womit sie zweifellos die Brüder meint.“
„Und nun kommt’s!“ Mohrdieck fährt mit dem Zeigefinger unter den Zeilen entlang: Sie waren bei den Schafen. Wie fast jeden Tag nach der Arbeit auf dem Hof. Und Reimer haben sie mitgenommen.
„Eine leichte Unklarheit in der Vernehmung“, stellt Schütt fest. „Es ist nicht eindeutig ersichtlich, ob diese enorm wichtige Feststellung von Anna stammt. Ob es sich nur um eine Vermutung handelt oder eine Aussage von Timm, der gleich darauf die Küche betritt.“
„Stimmt“, bestätigt Mohrdieck. „Aber mit einiger Sicherheit ist es Annas Antwort auf die Frage nach den hungrigen Mäulern.“
„Und was ist mit Timm?“ Schütt wird nicht bewusst, erstmals den Thode mit Vornamen genannt zu haben. „Was sollte der bei den Schafen? Er war ausgeschlossen vom lukrativen Nebenverdienst der Brüder. Also begibt er sich in die Küche und begleitet die Näherin zum Hoftor. Nicht, weil er ein Kavalier ist, sondern, weil das Tor auf Anordnung des Vaters täglich um neunzehn Uhr geschlossen werden muss.“
„Soweit folge ich Ihnen. Aber nun wird’s problematisch. Timm kommt zurück. Setzt sich mit Anna und dem Dienstmädchen an den Tisch zum Abendessen. Anna wird zusehens unruhig. Wo bleiben die Brüder? Aber sie erscheinen auch in den nächsten beiden Stunden nicht, die bis zur Ankunft der Eltern und Johanns vergehen. Wie erklärt er der Schwester ihre Abwesenheit?“
Mohrdieck lässt sich nicht beirren. „Er wird sie beruhigt haben. Mit einer Lüge: Die sind ins Dorf gegangen. Ins Wirtshaus.“
„Ins Wirtshaus? Zur Abendbrotzeit? Mit Reimer, dem Vierzehnjährigen? Bedenken Sie: Auf dem Thode-Hof herrschte, was den Arbeitsablauf und die Mahlzeiten anging, eiserne Disziplin. Das wissen wir von Zeugen.“
„Dann hat er sich etwas anderes ausgedacht. Im Lügen ist er schließlich Weltmeister.“ Mohrdieck lehnt sich zurück. „Wir werden
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