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Der Marschenmörder

Der Marschenmörder

Titel: Der Marschenmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Brorsen
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geschluchzt.
    Bereits am Mittag haben Mohrdieck und Schütt Versmanns Bericht vor sich liegen:
    Der Inculpant befleißigt sich einer Einfachheit im Ausdruck. Von einer Geistesstörung habe ich nichts bemerkt, und ich hege keinen Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit. Er liest mit Festigkeit. Zu bemängeln sind aber seine lückenhaften Religionskenntnisse, da er nach seinem Schulaustritt sehr selten die Kirche besucht hat. Allerdings kennt er Bibelstellen, die nach meiner Erkenntniß völlig ausgereicht haben müßten, ihn von den Verbrechen fernzuhalten. Das Lügen ist ihm zur zweiten Natur geworden. Deshalb sind seine Äußerungen mit größter Vorsicht anzunehmen.
    Bei Vorhaltungen seines Unrechts hat er nie trotzig oder in ungebührlicher Weise geantwortet. Statt dessen spricht er mit großer Bewegung seinen Schmerz über sein Verbrechen aus, bezeichnet sich selbst als Scheusal, welches nicht wert ist, von der Sonne beschienen zu werden. Er meidet Äußerungen, die den Anschein erwecken können, daß er im Verhalten seines Vaters und seiner Brüder gegen ihn eine Entschuldigung für seine Verbrechen suchen wolle. Und er klagt, daß sich nicht dieses oder jenes ereignete, das ihn an der Ausführung der Verbrechen gehindert habe.
    Ich wage nicht zu entscheiden, ob er sich durch seine Antworten mit Blick auf sein zerstörtes Lebensglück einen Vorteil verschaffen will. Er hat mir aber versprochen, Ihnen von jetzt an die reine Wahrheit zu sagen.
    „Immerhin ein Hoffnungsschimmer“, resümiert Mohrdieck den Bericht. „Vielleicht können wir schon in den nächsten Tagen den Fall Thode abschließen.“
    „Ich habe mir vorgenommen, jetzt die reine Wahrheit zu sagen. Und bereue aufrichtig, bisher so viel gelogen zu haben.“ Timm sitzt den Ermittlern gegenüber, versucht seine Hände unter der Tischplatte zu halten, seitdem ihm die Handfesseln auch vor der Vernehmung nicht mehr abgenommen werden.
    Mohrdieck bleibt misstrauisch. „Sie haben die Zeitung von heute gelesen?“ Aufmerksam fixiert er sein Gegenüber. „Sie können sich vorstellen, welche Auswirkungen die Meldung auf die Menschen draußen hat?“
    Verstohlen schielt Timm nach den neben den Akten liegenden „Itzehoer Nachrichten“. Immer wieder hat er die offenbar bewusst unscheinbar gehaltene, auf der vorletzten Seite versteckte Nachricht über sein Geständnis gelesen, kennt den bürokratisch formulierten Text nahezu auswendig:
    Die unheimliche Groß-Campener Mordgeschichte ist endlich aufgeklärt durch das Bekenntniß des einzigen Überlebenden der Thodeschen Familie, des Sohnes Timm Thode, daß er selbst der Mörder und Brandstifter sei. Er allein, ohne Gehülfen oder auch nur Mitwisser, hat seine Eltern, fünf Geschwister und das Dienstmädchen vermittels der gefundenen Axt erschlagen und darauf die Gebäude in Brand gesetzt. Der Inculpant hat über die Ausführung der That bereits sehr detaillirte Angaben beschafft, die sich aber nicht mitteilen lassen, weil sie noch offenbar mit Lügen durchwebt sind.
    „Es ist Ihnen hoffentlich klar, dass Sie hiernach …“, Mohrdieck zeigt auf die Zeitung, „draußen nicht mehr sicher wären. Sie sollten sich keinen Fragen mehr verschließen. Aber Sie haben sich ja vorgenommen, die reine Wahrheit zu sagen.“
    Timm starrt eigensinnig auf seine Handfesseln. Schütt winkt Tietjens heran: „Nehmen Sie sie ab.“
    Noch während der Wächter die Fesseln löst, die Rötungen und Abschürfungen an den Handgelenken hinterlassen haben, hakt Schütt nach: „Also war die Beschuldigung der beiden Schlachter Ihre letzte Lüge?“
    Timm nickt schuldbewusst. „Ich hab sie genannt, weil ich mich schämte, meine Taten allein zu gestehen.“
    „Und wie sind Sie ausgerechnet auf Hinrichsen und Bielenberg gekommen?“
    „Sie sind Schlachter aus Profession. Da dachte ich mir: Die passen ins Bild. Ich hab nämlich niemals erwartet, dass sie noch in der Nacht zum Hof laufen und helfen würden.“
    Schneidend fährt Mohrdiecks Stimme dazwischen: „Sie haben vieles nicht erwartet. Auch nicht, dass Sie es jetzt mit uns zu tun haben. Und dass seit heute alle Welt weiß, dass Sie ein Mörder sind! Und ein Brandstifter!“
    Schütt verzieht grämlich das Gesicht. Er spürt, dass das kaum zügelbare Temperament des Kollegen das Verhör gefährden, sogar abrupt beenden kann. Katastrophal, wenn der Thode jetzt bockt. Und spitzkriegt, wie dringend die Ermittler auf jede Einzelheit aus seinem Mund angewiesen sind.
    Mohrdieck bemerkt

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