Der Marschenmörder
ihn löchern, bis auch diese Frage geklärt ist.“
„Er wird auf der Hut sein“, gibt Schütt zu bedenken, „sich krampfhaft an seine letzte Chance klammern.“
Mohrdieck blickt versonnen ins Leere. Klopft leise mit der geballten Linken auf den Tisch. „Diesmal kriegen wir ihn. Konfrontieren ihn mit der Aussage der Tenzer. Stellen ihn vor vollendete Tatsachen. Vielleicht wird er endlich zusammenbrechen. Und alles gestehen. Alles.“
„Schau’n Sie, was ich gefunden habe!“ Triumphierend hält Schütt eine Flasche in der Hand, die er im Eichenschrank des Bureaus entdeckt hat. „Ein Armagnac Jahrgang 1841.“
„Wahrscheinlich aus einem Schnapsmuseum“, stellt Mohrdieck trocken fest. „Die müssen Rötger und Jacobsen übersehen oder vergessen haben.“
Schütt eilt ins Sekretariat, kommt mit zwei Gläsern zurück, gießt sie halbvoll und prostet dem Kollegen zu: „Auf den Erfolg!“
Mohrdieck, dem schon ein Glas Wein eine Sünde wider Geist und Körper ist, greift zum Glas, erhebt sich mit theatralischer Feierlichkeit: „Auf den Durchbruch!“
Auch ein zweites Glas weist er nicht zurück, obgleich ihm schon der erste Schluck fast den Atem raubte. Doch als Schütt abermals zur Flasche greift, hebt er abwehrend die Hände: „Zweifellos ein guter Tropfen. Aber ich möchte nicht wegen Dienstvergehens die Zelle neben dem Thode beziehen müssen.“
„Aller guten Dinge sind drei“, rechtfertigt sich der Senior, bedient sich und zieht genüsslich an seiner Virginia. „Sie hatten Recht, lieber Mohrdieck. Die Tenzer. Ihre Aussage hat dem Thode tatsächlich ein Jahr Aufschub gebracht.“
Mohrdieck nickt versonnen. „Dabei hat das Mädchen nicht einmal gelogen. Warum sollte sie auch? Und er muss gespürt haben, dass wir ihren Angaben unbesehen glauben.“
Schütt überfliegt das Protokoll der heutigen Vernehmung, sein Blick verharrt auf dem letzten Absatz.
Inculpant: Ich habe die Leichen ins Bett geschleppt, damit die Leute umso weniger glauben, dass nur ein Mann die Tat vollbracht hat. Wenn alle im Bett gelegen hätten, wäre es für einen Mann unmöglich, einen zu erschlagen, ohne dass die andern es merken.
Zunächst sah es nicht so aus, als würden die Ermittler heute den größten Erfolg ihrer bisherigen Arbeit erringen. Timm, zermürbt vom viertägigen ununterbrochenen Aufenthalt in der Zelle, gab sich mürrisch und wortkarg. Doch Schütts behutsames Fragen lockte ihn nach und nach aus der Reserve.
Schütt: „Haben Sie sich mit Fräulein Tenzer unterhalten, als Sie sie zum Hoftor begleiteten?“
Timm: „Nein. Sie sagte nur: ,De Jungs mööt sik ranholn, wenn se noch to Abend eeten wöllt.‘“
Schütt. „Sie kamen aber nicht. Hat Anna das nicht verwundert?“
Timm: „Doch. Sie guckte andauernd zur Tür. Schimpfte sogar: ,Eben is Vadder ut’ Huus, denn fangt se an to bummeln‘. Ja, und da hab’ ich das mit den Ochsen gesagt.“
Mohrdieck wird hellhörig. „Mit den Ochsen? Was war mit denen? Ausgebrochen?“
Timm nickt eifrig. „So hab’ ich’s gesagt. Und dass sie im Weizen sind.“
Schütt: „Und Anna hat nicht gefragt, warum Sie nicht mitgegangen sind?“
Timm lächelt überlegen: „Hat sie nicht. Und wenn, dann hätte ich gesagt: ,Dat sünd bloots dree Ossen. Dat schafft se alleen.‘“
Mohrdieck erkennt seine Chance. Die Bekennerphase nutzen. Schritt für Schritt möglichst viel aus dem Burschen herausholen. „Ihre Eltern kamen etwa viertel nach neun und begaben sich sofort ins Schlafzimmer. Sie gingen hinaus und erschlugen Johann beim Ausspannen. Aber der Vater. Wie haben Sie den überwältigt?“
Wieder huscht ein Lächeln über Timms Gesicht. „Das mit den Ochsen. Das hab ich ihm auch gesagt.“
Mohrdieck heuchelt Anerkennung: „Ein schlau überlegter Trick. Und der klappte auf Anhieb?“
Timm nickt stolz. Und plaudert drauflos, als hätte sich eine unsichtbare Tür geöffnet. Berichtet, wie der Vater verärgert aus dem Haus kam und mit den Worten: „Denn mutt ik wull mit“ voranging. Wie er ihm folgte, die Handspake unter einem Brett versteckt, und ihn auf dem Weg zum Weizenfeld erschlug.
Ungerührt beschreibt er das Blutbad bei der Ermordung Annas, ihre verzweifelte Gegenwehr. Schildert, wie die Mutter um ihr Leben flehte und wie er Abel in ihrem Bett das Gesicht zertrümmerte.
„Genug für heute“, stöhnt Mohrdieck. Und wischt, nachdem Tietjens und Ahrens Timm abgeführt haben, den Schweiß aus Stirn und Gesicht: „Die furchtbarste Aussage, die ich
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