Der Marschenmörder
je gehört habe.“
Zugleich wird ihm bewusst, dass der Thode endlich alle Zweifel an seiner Alleintäterschaft beseitigt hat. Ist der Erfolg der neuerlichen Vernehmung ein Grund zum Feiern? Eigentlich nicht. Oder doch? Da nimmt Schütts Fund im Eichenschrank ihm die Entscheidung ab.
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Zwei Monate sind vergangen, seitdem die Obergerichtsräte Mohrdieck und Schütt auf Anordnung des Glückstädter Obergerichts einen zweiten Anlauf in der Ermittlung des Verbrechens auf dem Thode-Hof genommen haben. Mit eindrucksvollem Erfolg. Noch aber zögert Mohrdieck, den Abschlussbericht zu verfassen. Er will einen wasserdichten Report abliefern, der keine Fragen offen lässt und der Staatsanwaltschaft lästige Nachfragen erspart. Und so wird Timm weiterhin vernommen.
An manchen Tagen macht er den Eindruck eines Verlierers, dem sein Schicksal gleichgültig ist. Dann wieder gibt er ausweichende Antworten, versteckt sich hinter Erinnerungslücken oder ist einsilbig und verstockt.
Erkennt er Mohrdiecks Zielstrebigkeit, weitere Mordmerkmale zu sammeln, obgleich Habgier und Heimtücke erwiesen sind und ausreichen für einen Schuldspruch? Es scheint so, denn mit Entschiedenheit bestreitet er, das langstielige, vom Vater zum Knochenzerlegen benutzte Beil, mit dem er Anna, die Mutter und die Dienstmagd Abel umbrachte, vorher geschärft und somit das Verbrechen geplant und vorbereitet zu haben.
„Ich habe mit ziemlicher Gleichgültigkeit alles dem Zufall überlassen“, versucht Timm den Tatvorsatz zu enthärten. Dann wieder schildert er in gleichmütigem Ton schaurige Einzelheiten. Wie Cornils, der 19-Jährige, beinahe „entwischt“ wäre, als er die Handspake in Timms Händen bemerkte. Der erste Schlag traf ihn seitlich an Kopf und Schulter, und der Drittälteste der Thode-Söhne flüchtete in den hinteren, türlosen Bereich der Scheune. Dort standen sich Opfer und Mörder gegenüber, Cornils mit schreckgeweiteten Augen, Timm mit eiskalter Entschlossenheit.
„Cornils hätte aus der Scheune fliehen können. Aber er lief in die falsche Richtung. Ich holte ihn ein, und nach vier oder fünf Schlägen war er tot“, gibt Timm ungerührt zu Protokoll. Und auf Schütts Frage: „Und dann haben Sie ihn unter Stroh versteckt?“ fügt er hinzu: „Ja. Aber vorher hab ich seine Taschen geplündert und ihm zehn Taler abgenommen.“
Die Ermittler ersparen sich auch nicht, weitere Details über Annas schreckliches Ende zu hinterfragen und erfahren schaudernd, wie die 17-Jährige sich wehrte, wie sie um ihr Leben bettelte Und schließlich nach etlichen Beilschlägen und Messerstichen zusammenbrach und starb.
„Warum legten Sie zunächst das Feuer im Wohnbereich, wo doch im Wirtschaftsteil des Hauses große Mengen Heu und Stroh lagerten?“, fragt Schütt.
Timm erzählt, dass auf dem Dachboden, unmittelbar über Küche und Wohnzimmer, an die 20 000 Soden Torf gestapelt waren, deren Brand alles in Schutt und Asche verwandelt und keine Spuren hinterlassen hätte. Zähneknirschend resümiert er: „Wenn ich auch nur ein oder zwei Fenster geöffnet hätte, würde ich nicht hier sitzen.“
Mohrdieck wütend: „Sie irren, Thode. Sie säßen hier. Wir hätten es rausgekriegt. Darauf können Sie sich verlassen.“
Nur einmal bemerken die Ermittler bei Timm einen Anflug von Reue, als er sich am Ende des Verhörs, bereits in Handfesseln, umdreht und mit leiser Stimme sagt: „Ich bin mehr und mehr entsetzt von der Größe meines Verbrechens.“
Endlich entschließt sich Mohrdieck, seinen Bericht zu schreiben. Übergibt ihn samt den Akten dem Obergericht. Und muss mit mühsam unterdrücktem Zorn feststellen, dass der Fall Thode für zwei Monate auf Eis gelegt wird.
Die Glückstädter erachten es als unmöglich, bis zum Auslaufen des alten Rechtszustandes und gleichzeitiger Schließung des Obergerichts die richterliche Voruntersuchung, die Anklage und das Gerichtsverfahren durchzuziehen.
Erst als am 1. September 1867 durch die Neuordnung der in Jahrhunderten unter dänischer Herrschaft gewachsenen Gerichtsstrukturen in Itzehoe ein überregionales Kreisgericht für ein Gebiet von 180 000 Menschen gegründet wird, befasst sich die Justiz wieder eingehend mit Timms Verbrechen.
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Heinrich Rave ist ein pflichtbewusster Mann. Einer, der sich nicht mit Halbheiten zufrieden gibt. Und nicht auf die Uhr schaut, wenn es gilt, eine Aufgabe zu erledigen. Dass er zu den sieben Richtern gehört, die an das neu eingerichtete Kreisgericht in
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