Der Marschenmörder
die Verärgerung des Kollegen, beißt sich auf die Unterlippe. Verdammt. Jetzt aber ruhig Blut. Sonst können wir einpacken. Da nützt uns das Geständnis herzlich wenig. Aus den Augenwinkeln gibt er Schütt zu verstehen, fortzufahren.
Der greift das Wort ‚Brandstifter‘ auf: „Wenn Sie uns von nun an die reine Wahrheit sagen wollen, werden Sie auch gestehen, vor drei Jahren den Brand beim Müllermeister Lembke in Krummendieck gelegt zu haben.“
Zu seinem Erstaunen nickt Timm schwerfällig. Und hebt sogleich die Hände: „Ich hab’s sofort bereut. Hab versucht, das Feuer zu löschen. Und sämtliche Tiere gerettet.“
„Ich weiß“, entgegnet Schütt bitter, „Sie sind ein Tierfreund. Aber nun schildern Sie uns bitte den genauen zeitlichen Ablauf Ihrer Taten.“
Timm ist schlagartig hellwach. Lässt sich nicht täuschen von der Beiläufigkeit, mit der der Herr Oberrat versucht, das bereits bröckelnde Lügengebäude vollends zum Einsturz zu bringen. Ihm den Strohhalm zu entreißen, an den er sich im Ertrinken klammert. „Es ist, wie ich gesagt hab. Ich habe Johann im Wagenschauer erschlagen. Und die Andern anschließend im Wohnhaus.“
Schütt seufzt auf. Blickt Timm in die Augen. „Denken Sie an Ihr Versprechen. Und sagen Sie uns endlich, wie Sie es angestellt haben, dass die Männer sich nicht wehrten.“
Timm schweigt.
Mohrdieck, der das Gespräch mit Spannung verfolgt hat, schlägt die Faust auf den Tisch. „Ihre Zeitangaben. Nichts stimmt daran. Absolut nichts!“
25
Wochen gehen ins Land. Monate. Die Ermittler versuchen, die Ergebnisse ihrer Nachforschungen auf den Punkt zu bringen. Mehrfach setzt Mohrdieck an, einen Abschlussbericht zu verfassen. Doch er zögert. Die Glückstädter würden nicht zufrieden sein. Handfeste Beweise würden sie fordern für die Alleintäterschaft eines Inculpanten, dessen Geständnis vermutlich nicht reichen wird für eine Anklage, weil es schlicht unglaubwürdig ist.
Ihn verdrießt, dass weder Handfesseln und kalte Kost noch üppige Mahlzeiten und Haftlockerungen den Thode veranlasst haben, eine schlüssige Antwort zu geben auf die Frage: „Wie, wo und in welchem Zeitraum haben Sie Ihre Familie umgebracht?“
Insgeheim befürchtet Mohrdieck: Wenn der Thode vor dem Untersuchungsrichter oder gar im Prozess sein Geständnis widerruft, etwa mit dem Hinweis, es sei ihm aufgezwungen worden, wird kein Gericht ihn verurteilen.
Schon gar nicht nach dem 1. September, wenn die preußische Rechtsprechung in Kraft tritt. Da wird es den Ermittlern wenig nützen, dass Timm sich vom bedauernswerten Opfer zum zerknirschten Täter gewandelt hat. Denn bislang hat er lediglich einen Massenmord eingestanden, den selbst drei mit Messern und Äxten bewaffnete Täter schwerlich bewältigt und kaum schadlos überstanden hätten.
Indessen wächst auch in der Bevölkerung der Druck auf die Ermittler. Die Menschen in der Marsch haben kein Verständnis für die zögerliche Haltung der Justiz. Schockiert und fassungslos haben sie von Timms Geständnis erfahren. Doch sie können und wollen nicht wahrhaben, dass einer der ihren, ein zwar fauler und nicht ganz ehrlicher, aber im Grunde harmloser Bauernsohn, sich von einem Tag auf den anderen in eine blutrünstige Bestie verwandeln konnte.
Das geht vielen über die Vorstellungskraft. Und schon bilden sich Legenden, für die in der rauen Marsch schon immer ein fruchtbarer Boden vorhanden war. Eine Verführerin muss her. Eine blonde Hexe, jung und schön, berechnend und skrupellos. Die hat den unreifen, im Umgang mit Frauen linkischen Trottel in ihre Arme gelockt und mit heißen Versprechungen zu den Untaten angestiftet. Schöne Augen hat sie ihm gemacht. Ihm Liedchen vorgeträllert, wie dereinst die Loreley den arglosen Rheinschiffern. Und Timm, gefangen im Netz der Verführerin, hat den Verstand verloren. Denn nur einer ohne Verstand erschlägt blindwütig die Seinen. Steckt sein Erbe, den Hof, in Brand. Rettet den wertvollen Schmuck der Mutter, um ihn der Angebeteten zu Füßen zu legen.
Mohrdieck lächelt säuerlich, als ihm Wachtmeister Ahrens und Wärter Tietjens von dem Schauermärchen berichten. Er denkt nicht daran, der Sache nachzugehen. Mehr als einmal hat er sich auf der Suche nach dem Tatmotiv nach Timms Verhältnis zu Frauen erkundigt. Und erfahren, dass dieser auf Dorfbällen zwar prahlerisch der einen oder anderen Schönen nachstellte, doch nie ernsthaft eine Liebschaft anstrebte.
Um sicherzugehen, erwähnt Schütt
Weitere Kostenlose Bücher