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Der Marschenmörder

Der Marschenmörder

Titel: Der Marschenmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Brorsen
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Itzehoe berufen wurden, erfüllt ihn mit Stolz. Auch freut es ihn, dass sein Kollege Johannes Witt, der Leiter des inzwischen aufgelösten Glückstädter Obergerichts, zum Direktor des Kreisgerichts ernannt wurde.
    Dass aber der neue Kreisgerichts-Direktor ausgerechnet ihn, Rave, als Untersuchungsrichter für den Fall Thode eingesetzt hat, ist ihm unbehaglich. Ein Blick in die Akten genügt, die Last zu spüren, die auf seine Schultern gewälzt wurde. Was ist, wenn der Thode sein Geständnis widerruft, sich auf Zermürbung durch Isolierhaft oder Fallstricke der Ermittler beruft? Ihm gar die Räubergeschichte auftischt, mit der er schon die erste Commission so überzeugend getäuscht hat?
    Zuckerbrot oder Peitsche? Nichts von beidem, beschließt der Untersuchungsrichter. Mit gnadenloser Höflichkeit dem Thode die Aussichtslosigkeit erneuter Lügen klarmachen. Und ihn am Schluss dazu bringen, das Protokoll zu unterschreiben.
    Das Unbehagen bleibt. Doch es sind bis zum 2.   Oktober, dem Tag der richterlichen Untersuchung, noch drei Wochen hin. Zeit genug, sich durch intensives Aktenstudium vorzubereiten.
    Mit Schaudern liest der Kreisrichter die penibel ausgeführten Obduktionsberichte der Kreis-Physici Dr.   Goetze und Dr.   Tagg und der Ärzte Dr.   Dreessen und Dr.   Mencke. Er entdeckt eine weitgehende Übereinstimmung der bei den Opfern festgestellten Verletzungen mit Timms Schilderung seiner Verbrechen. Respektvoll registriert er die geschickten Fragen der Ermittler an die Zeugen und die Gründlichkeit, mit der bereits die erste Commission Timms Lebenslauf und sein Umfeld erforscht hat. Kopfschüttelnd verfolgt er die landesweite Jagd auf eine Räuberbande, die Timms Fantasie entsprungen ist. Ihn beeindruckt Jakob Schwarzkopfs Hilfsbereitschaft, und es drängt ihn, den Mann kennen zu lernen, dessen Zuneigung und Fürsorge gegenüber dem Inculpanten offenbar unerschütterlich ist.
    Schon am nächsten Tag lässt er anspannen und sucht ihn auf. Jakob Schwarzkopf begrüßt den Herrn Kreisgerichtsrat mit der ihm eigenen jovialen Herzlichkeit. Hanne zaubert (woher bloß so schnell?) einen köstlichen Pflaumenkuchen auf die festlich gedeckte Kaffeetafel in der Gooden Stuuv. Und zur Abrundung kredenzt der alte Bauer einen exquisiten Cognac.
    Man plaudert über das milde Herbstwetter, die gute Ernte. Dennoch entgeht dem Gast nicht, dass im Hause Schwarzkopf eine mühsam unterdrückte Traurigkeit herrscht. Es widerstrebt ihm, mit Fragen Salz in kaum verheilte Wunden zu streuen. Weiß er doch aus Protokollen und Gesprächen mit den Ermittlern, wie schwer die Schwarzkopfs unter der Tragödie der Nachbarfamilie gelitten haben und bis heute leiden.
    Hanne nimmt ihm die Entscheidung ab: „Wir fühlen uns schrecklich allein, seit unser Junge weg ist.“
    Und Rave erfährt, dass Johannes als einjährig Freiwilliger beim Preußischen Grenadier-Regiment Nr.   11 in Altona dient. Und dass Jakob Schwarzkopf einen weiteren Knecht eingestellt hat, doch ohne den zupackenden Sohn und Erben die Arbeit auf dem Hof vernachlässigt wird.
    „Ich habe sofort eingewilligt, als er sich melden wollte“, erzählt der alte Bauer, „obgleich ich ihn nicht entbehren kann. Aber ich weiß, wie er leidet. Er braucht die totale Veränderung. Weg vom Anblick der Brandruine. Weg von Groß Campen.“
    Die Offenheit, mit der Jakob Schwarzkopf von Johannes berichtet, ermutigt den Kreisrichter, nach Timm zu fragen.
    „Ich würde ihn besuchen. Sofort.“ Das Gesicht des Bauern verhärtet sich. „Aber es gibt auch für mich keine Besuchserlaubnis, seitdem das Kreisgericht die Betreuung des Nachlasses selbst übernommen hat. Besuchen darf ihn nur Propst Versmann. Und, soviel ich weiß, Sie.“
    Rave räuspert sich verlegen. „Stimmt. Ich gedenke, die Gelegenheit nicht zu nutzen. Aber ich werde versuchen, für Sie einen Besuch zu arrangieren.“
    Beide Männer ahnen nicht, dass Timm bereits vor Wochen einen Antrag an das damals noch zuständige Obergericht in Glückstadt gestellt hat:
    Ich bitte, daß es mir gestattet werden möge, den Verwalter des Thodeschen Vermögens, den Hofbesitzer Jakob Schwarzkopf zu Groß Campen, sprechen zu dürfen, um ihm noch einige Wünsche mitzutheilen zur Regulierung solcher Schäden, die ich durch meine Schlechtigkeit angestiftet habe, soweit solches möglich sein möge.
    Der Antrag wurde abgelehnt.
    Timm schaut verschlafen auf seine Taschenuhr, die er an einen Nagel an der Bettwand gehängt hat. 7   Uhr. Zeit zum

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