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Der Marschenmörder

Der Marschenmörder

Titel: Der Marschenmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Brorsen
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angespanntes, feindseliges Schweigen. Nicht einmal an dunklen, nicht enden wollenden Winterabenden in seiner Zelle hat sich Timm so verlassen gefühlt.
    Eingezwängt zwischen Tietjens und Veit, die ihm umständlich die Handfesseln abnehmen, entdeckt er unmittelbar vor sich an einem kleinen Schreibtisch Dr.   Borstel. Der Verteidiger blickt von den Akten auf, dreht sich halb um, grüßt mit kurzem Nicken.
    „Opstahn“, flüstert Tietjens. Timm erhebt sich, stellt fest, dass alle im Saal sich erhoben haben, die Blicke auf fünf schwarze Roben hinter dem Richtertisch gerichtet.
    Der Vorsitzende des Schwurgerichtshofes, Appellations-Gerichtsrat Krah, blickt in die Runde: „Wir verhandeln heute in der Mord- und Brandstiftungssache gegen Timm Thode, Hofbesitzerssohn aus Groß Campen.“ Er nimmt den zuoberst liegenden Aktenband zur Hand, schlägt ihn auf, sieht über den Rand seiner Brille auf Timm hinunter. „Zunächst zu Ihren Personalien. Thode, Timm. Weitere Vornamen?“
    Timm schüttelt den Kopf.
    „Sprechen Sie laut und deutlich, so dass jeder im Saal Ihre Angaben verstehen kann.“
    „Nein, keine weiteren Vornamen.“
    „Sie sind geboren am 1.   Februar 1844 auf dem väterlichen Bauernhof in Groß Campen nahe Beidenfleth. Seit dem 10.   Mai 1867 untergebracht als Untersuchungshäftling im städtischen Gefängnis an der Kapellenstraße.“
    „Jawohl.“
    Der Vorsitzende lächelt milde: „Es reicht, wenn Sie mit Ja antworten. Wir sind kein Militärgericht.“ Er blickt hinüber zu Staatsanwalt Braun: „Die Anklage bitte.“
    Sachlich und emotionslos listet der Ankläger Timms Verbrechen auf. Wozu auch mit großer Geste und theatralischer Rhetorik auf den Busch klopfen, wenn das Wild schon in der Falle sitzt und die Höchststrafe ihm sicher ist?
    Dennoch ist die Wirkung auf die Zuhörer enorm. Immer wieder geht ein Seufzen durch die Reihen. Dort verlässt eine todblasse Frau, dort ein zittriger Greis unsicheren Schrittes den Saal.
    „Angeklagter, bekennen Sie sich schuldig oder nicht schuldig?“ Der Vorsitzende, sichtlich beeindruckt von der glänzend formulierten Anklageschrift, hat sich in seinem Lehnstuhl aufgerichtet. Die Beisitzer starren auf Timm hinunter.
    „Ich bekenne mich schuldig in allen Punkten der Anklage.“ So hat Hochwürden Versmann es Timm geraten. So wird er es halten. Bis zum bitteren Ende.
    Verteidiger Borstel meldet sich zu Wort: „Ich beantrage, die Geschworenen aus ihrer Pflicht zu entlassen, da mein Mandant sich ohne Einschränkung schuldig bekennt.“
    Richter Krah wendet sich nach links, nach rechts. Die Beisitzer nicken: „Dem Antrag wird stattgegeben.“ Er beugt sich leicht nach vorn, blickt Timm an: „Nun denn. Schildern Sie uns, wahrheitsgemäß und ohne Ausflüchte, was sich am 7.   August 1866 und in der darauf folgenden Nacht ereignete.“
    Timm berichtet, zunächst stockend und nach Worten suchend, dann zunehmend freier, im Erzählerton, als sei von einem anderen Täter die Rede und von unbekannten Opfern. Schonungslos offenbart er seine Verbrechen, verschweigt kein Detail und lässt keinen Zweifel an dem Tatmotiv: „Ich wollte den Hof. Den Hof und alles andere.“
     Borstel versucht ihn zu bremsen, klopft ihm beschwichtigend auf den Arm: „Sie wurden gehänselt von Ihren Brüdern? Von der einträglichen Schafhaltung ausgeschlossen? Von Ihrem Vater des Öfteren geschlagen? Sie wurden vom Hof gejagt, gleich nach Ihrer Konfirmation? Berichten Sie auch darüber!“
    Timm ignoriert den Rat. Fährt ungerührt fort mit gnadenloser Selbstbezichtigung.
    Der Anwalt beugt sich kopfschüttelnd über die Akten. Will sich der Thode seine Verbrechen von der Seele reden? Hier, in aller Öffentlichkeit? Oder legt er es nur darauf an, der Begegnung mit den Zeugen zu entgehen?
    Nicht schlecht, befindet Dr.   Borstel. Gar nicht so schlecht, auch für ihn selbst. Hat er doch die Beiordnung als Pflichtverteidiger in einem aussichtslosen Fall nur widerstrebend übernommen. Schließlich sind einige der Zeugen Klienten seiner Itzehoer Kanzlei. Wichtige. Zahlungskräftige. Verdammt unangenehm, die zu verhören, zu verärgern, gar bei einer Unwahrheit zu ertappen. Wozu den „advocatus diaboli“ spielen? Und am Ende alles für die Katz. Denn der Kopf des Thode ist ohnehin nicht zu retten.
    Nach einstündiger Einlassung, ab und an vom Vorsitzenden unterbrochen durch Nachfragen und Vorhalte, ist Timm erschöpft auf die Bank gesunken.
    Sogleich bittet der Verteidiger ums Wort: „Da das

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