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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Feierabend wurde Katrin nach draußen geschickt, damit der Vater sich die Mutter vornehmen konnte. Die legte heimlich ein paar Mark zurück, um sich einen Rock für sonntags kaufen zu können. Der Vater entdeckte das Versteck im Wäscheschrank,geriet in Rage und schlug ihr das Nasenbein ein. Von da an war ihr Gesicht schief, und sie biss um sich wie ein wildes Tier, wenn er sich ihr nähern wollte. Sie vergoss keine Träne, als er zum Kommiss musste, an die Ostfront geschickt wurde und vor Stalingrad fiel.
    ***
    Katrins Mutter musste jetzt schuften für zwei. Es war Krieg, da ging es ums Überleben, zu arbeiten, bis der Rücken krumm wurde, war nichts Ungewöhnliches. Das Gehalt des Vaters wurde auf Mutter und Tochter verteilt, aber so, dass Baron von Riederer die Hälfte einsparte. Dafür wurde den Frauen gestattet, sechs Hühner zu halten und neben dem großen einen kleinen Gemüsegarten für den eigenen Bedarf anzulegen. Die Bauern der Gegend brannten illegal Kartoffelschnaps, den besorgte sich Katrins Mutter in Literflaschen für ein paar Handgreiflichkeiten der älteren Männer oder für einen kurzen Abstecher ins Heu mit den jüngeren Männern als Gegenleistung. Der Klare riss die Kehle auf, war aber gut gegen die Rückenschmerzen und das Gespenst der Trostlosigkeit. Die Mutter trank ihn im Zahnputzbecher, bis die Leber streikte und kein Arzt ihr mehr helfen konnte. Sie starb an einem Februartag, der grau und frostig war und ganz zu der Stimmung passte, in der sie Katrin zurückließ. Im Sarg lag eine alte Frau, die nur neununddreißig Jahre gelebt hatte.
    Egon von Riederer war zu krank, um sich um die Beerdigung zu kümmern. Zittrig streckte er Katrin zwanzig Mark hin. Statt des Blumenstraußes, den sie dafür kaufen sollte, holte sie sich ein Paar gefütterte Lederhandschuhe. Sie war jetzt allein. Als Erstes schüttete sie den restlichen Schnaps ins Spülbecken und verbrannte die Unterwäsche der Mutter im Ofen. Als sie die Asche hinterm Haus verteilte, klarte es auf, die Wolken schoben sich auseinander, dieSonnenstrahlen in ihrem Gesicht nahm sie als Zeichen, dass jetzt ein neuer Lebensabschnitt begann.
    Das Schicksal der Mutter war für Katrin ein warnendes Beispiel. Es waren schlechte Zeiten, aber sie war jung und wollte etwas vom Leben haben. Gelegentlich lud sie Freunde ein, die sie von der Schule her kannte. Dann trug sie Rouge auf und legte die Haare in Locken. Einer, der Martin hieß und unternehmungslustiger war als die anderen, gefiel ihr gut. Er durfte sie küssen und von außen an ihren Busen fassen. Das Gefühl, das er bei ihr auslöste, war neu für sie, die wirkliche Entdeckung aber waren die Schallplatten, die er mitbrachte. Der Rhythmus der Musik berauschte sie, sie tanzte in seinen Armen oder stand alleine wie in Trance und wiegte ihre Hüften. Ihre von der Arbeit eckig gewordenen Bewegungen wurden weicher, wenn der Freund sie über den Bretterboden führte. Sie hörten verbotene «Negermusik», Lieder aus New Orleans oder aus dem Wilden Westen, wie sie von Cowboys an Lagerfeuern gesungen wurden. Auch Swing war dabei, wenn er aufgelegt wurde, überkam Katrin eine unbändige Lust. Sie sprang herum, bis ihr die Luft ausging und der Schweiß über den Rücken lief.
    Zu den Abenden erschienen mit der Zeit immer weniger Freunde, dann war es so weit: Auch Martin wurde eingezogen. Als er kam, um sich zu verabschieden, brachte er ihr das Grammofon und die Platten. «Pass gut auf sie auf!», sagte er. Sie sah, wie traurig er war, wollte verhindern, dass er zu weinen anfing, und so ließ sie zu, dass seine Hände sie streichelten und sich zwischen ihren Beinen vergruben, als müssten sie dort vor dem Krieg Zuflucht suchen.
    ***
    Bernhard sah sich noch steif von der langen Zugfahrt auf dem Bahnhofsvorplatz um. Jetzt war Krieg, er hatte Veränderungen erwartet,welche, hätte er nicht sagen können. Die Hakenkreuzfahnen an den Häuserwänden waren ein schon gewohnter Anblick. An einer Mauer hing ein Transparent: «Der Sieg ist unser!» Das war das einzig Neue. Bernhard atmete erleichtert tief durch.
    Der Taxifahrer hatte Mühe, die beiden Schiffskoffer zu verstauen, und sagte missgelaunt in einem Ton, den Bernhard in den letzten Monaten nicht gehört hatte: «Dafür zahlen Sie einen Zuschlag.» Unterwegs zählte er siebzehn Kinder, neun davon in den Uniformen der Hitlerjugend und des Bundes Deutscher Mädel, sie alle winkten dem vorbeifahrenden Auto zu.
    Als sie von der Hauptstraße auf den Privatweg

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