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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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und nannte ihn: «Mein innig geliebtes Kind.» Keine andere Frau konnte es mit ihr aufnehmen.
    ***
    Die Frage, warum die Zimmer der Kinder so ungünstig angeordnet waren, wurde nie gestellt. Wahrscheinlich hatte ihr Egon von Riederer bei der Planung des Hauses keine Aufmerksamkeit geschenkt und die Konsequenzen nicht bedacht. Sie belasteten die Beziehung von Bernhard zu seiner Schwester, auch wenn Nora den Androhungen von Prügel und Verstümmelungen keine Taten folgen ließ. Nur einmal war er stolz gewesen, ihr Bruder zu sein.
    Im unteren Teil des Gartens hatte sich eines Tages ein Reh in der Umzäunung verfangen. Die Hunde hatten Witterung aufgenommen und tobten in ihrem Zwinger. Egon von Riederer hätte gewusst, was in dieser Situation zu tun war, aber er war unterwegs und wurde erst am Abend zurückerwartet. Bernhard lief aufgeregt hin und her, rief die Hunde bei Namen und versuchte, sie zu beruhigen. Ohne jeden Erfolg. Da kam Nora aus der Küche, öffnete die Tür des Zwingers einen Spalt und warf der Meute das Fell eines kürzlich geschlachteten Hasen hin. Die stürzte sich auf die Beute, das Gebell verstummte.
    Behutsam näherte sich Nora dem Reh. Das starrte sie mit aufgerissenen Augen an und zerrte an dem Maschendraht, in dem sich sein Vorderbein verfangen hatte. Bernhard war seiner Schwester gefolgt und sah, wie sie über den Kopf des Tieres strich und dann die weiche Partie unterhalb der Nüstern zusammendrückte. Die Wirkung setzte nach circa drei Minuten ein. Die Bewegungen des Rehs wurden wie unter Hypnose langsamer, sein Körper entspannte sich. Nora winkte Bernhard herbei. «Du musst sein Beinfesthalten und den Fuß langsam aus der Schlinge lösen. Sei vorsichtig! Es wird zucken und versuchen, aufzuspringen.»
    Der Vorfall blieb Bernhard in Erinnerung. Er hatte Noras Besonnenheit bewundert, sie hatte ihn mit einem «Gut gemacht» gelobt. Für kurze Zeit waren die schon zur Gewohnheit gewordenen Streitereien vergessen. Aber der Frieden hielt nicht lange, neue Gehässigkeiten waren an der Tagesordnung. Sie wünschten sich in jungen Jahren so oft wechselseitig zum Teufel, dass ihnen als Erwachsene unter der Bürde schlechter Erinnerungen kein normales geschwisterliches Einvernehmen möglich war.
    Bernhard nahm die Nachricht vom Tode seines Vaters mit einem Gleichmut auf, der ihn überraschte. Auf der Rückreise hatte er einige Male von seinem Vater geträumt: Der hatte ihn nicht an sein Bett treten lassen, «Geh mir aus den Augen!» gerufen oder ihn einen Betrüger, ein verkommenes Subjekt genannt. Ein andermal musste er ihn aus dem Bett heben und in den Sarg legen, aus dem er ihn mit stechendem Blick ansah. Er versuchte, ihm die Augen zuzudrücken, bis er entnervt in seiner Kabine aufwachte.
    Er fuhr auf den Friedhof von Birkenfeld, stand im Nieselregen am Grab und rechnete nach: Egon von Riederer war nur sechzig Jahre alt geworden. Dann sprach er die Worte: «Vater, vergib mir!» Aber Reue verspürte er nicht, sein Kopf war leer, er fühlte gar nichts.
    Tagelang standen die Koffer in der Diele, bis er sich entschloss, sie auszupacken. Er ließ das Sterbezimmer des Vaters lüften und bestellte für das schwere, dunkle Bett eine neue Matratze. Im Wohnzimmer hängte er die Geweihe und andere Jagdtrophäen ab und so, wie es sich ergab, die mitgebrachten Masken und Schattenspielfiguren auf die frei gewordenen Nägel. Sonst nahm er keine Veränderung vor.
    ***
    Nach dem Besuch am Grab musste er zum Notar, um den Erbschein abzuholen. Bei dieser und ähnlichen Gelegenheiten trug er denselben sandfarbenen Anzug aus feinem Cord, in dem er an Bord der «Sindaro» gegangen war. Nachdem er den Erhalt des Scheins mit einer Unterschrift quittiert hatte, räusperte sich der Notar. Es gäbe da ein Gerücht, von dem er ihn in Kenntnis setzen wolle. Das Gerücht beträfe den Lebenswandel von Katrin Weinzierl. Umständlich erläuterte der Notar, dass das Folgende ohne juristischen Belang sei, er sich aber aus Besorgnis und als langjähriger Berater des verstorbenen Herrn Baron verpflichtet fühle, ihn zu ermahnen, dem Treiben des allein lebenden Fräuleins Einhalt zu gebieten. Er sprach von Soldaten und anderen jungen Männern, die im Nebengebäude von Haus «Diana» aus und ein gingen, von amerikanischer Negermusik und Strömen von Bier. Genaues wisse man nicht. «Aber in unserer Gegend achtet man eben auf Sitte und Anstand, ganz besonders in der heutigen Zeit.» Noch einmal beteuerte der Notar, dass er es nur gut meine,

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