Der Maskensammler - Roman
entlassen war. Er hatte Halt an einem Geländer gesucht, fassungslos, den Mund leicht geöffnet. Jetzt ging er mit schweren Schritten auf das Haus zu, binnen Minuten zumalten Mann geworden. In der Eingangstür wandte er sich steif um. «Vater, ich komme! Ich komme zu dir!», rief ihm Bernhard zu.
***
Candra blickte starr auf das Schreiben des Commissaris, als wäre ihr die entscheidende Botschaft entgangen. Klana gewahrte in ihrem Gesicht zum ersten Mal einen Ausdruck von Schmerz. Sie wusste, was er gleich fragen würde, und er kannte ihre Antwort: «Nein, ich bleibe», sagte sie schroff. «Ich kann nicht mit dir gehen. Nach den Rassegesetzen deines Landes bin ich eine Indo, ein Mischling. Und davon abgesehen: Was würde dein Vater sagen, wenn du eine wie mich von deiner Reise mitbringst?» Klana spürte, wie sein Kopf sich leerte, ein Pfeifton durchschnitt seine Gedanken, eine Lähmung stieg in ihm hoch, erreichte sein Herz. «Und? Gibt es noch einen Grund?», hörte er sich fragen. «Was ist mit Claus?» Sie standen voreinander, reglos wie vergessene Marionettenfiguren. Ihr Atem ging schnell, in kurzen, heftigen Stößen. «Mit Claus? Aber das weißt du doch!» – «Nichts weiß ich, gar nichts! Was … was …? Schläfst du mit ihm?» – «Ja, natürlich», sagte Candra.
Sein Herzschlag setzte aus, stolperte, setzte rasend wieder ein. Seine Züge verzerrten sich, er schnappte nach Luft, wollte etwas sagen, brachte aber nur einen Gurgelton hervor. Sie dachte, er wolle sich auf sie stürzen, er jedoch rannte an ihr vorbei, stolperte die Stufen der Veranda hinunter, schlug hin, raffte sich auf, lief weiter wie ein Betrunkener, lief und lief, riss sich in einer dornigen Hecke die nackten Arme auf, schrie, bis seine Stimme versagte, drehte sich einige Male um seine Achse, streckte die Arme gen Himmel und blieb röchelnd in einem Schlammloch liegen.
Um Mitternacht stand er wie ein Geist im Türrahmen. Candra führte ihn herein, wusch sein Gesicht und den Schmutz aus denSchrammen und Schürfwunden. Als er sich in einem Anfall von Fieber schüttelte, machte sie ihm feuchte Umschläge. Dann sackte er weg in einen Schlaf, der mit einem Albtraum auf ihn wartete.
Finsternis umgab ihn. Er stand auf einem zerklüfteten Gebirge in einer Felsschlucht. Die Erde bebte, er musste raus, aber es gab keinen Ausgang, kein Entrinnen. Auf Vorsprüngen über ihm drängten sich schwarze Gestalten, Frauen, sie spuckten auf ihn herab und warfen Steine, denen er nicht ausweichen konnte. Aus dem Boden quoll eine klebrige Masse, in der seine Füße bis zum Knöchel versanken. Da verschwanden die Frauen unter gellendem Gelächter in einer grünlich schillernden Blase, ein Teil der Felsschlucht sackte in sich zusammen. Er hatte aufgehört, um sich zu schlagen. Auf einer Erdscholle glitt er über die Flanke des Berges, gefolgt von einer Zunge glühenden Magmas. Asche rieselte in großen Flocken auf ihn herab. Um sich zu schützen, rieb er sein Gesicht mit dem grauen Schlamm ein, aber die Flocken waren Würmer und krochen ihm in die Augen, die Nase, die Ohren. Er hatte nicht mehr die Kraft zu schreien.
Bei Morgengrauen wachten sie auf. Das Bett war kalt, sie hatten sich nicht berührt. Mit mechanischen Griffen suchte Bernhard seine Habseligkeiten zusammen, verstaute sie im Koffer, wickelte die Masken in den Sarong, hinter dem Claus geschlafen hatte, und legte sie vorsichtig obenauf. Candra schloss die Tür ab, ohne dass er noch einen Blick in das Innere des Hauses geworfen hatte, in dem er meinte, sein Glück gefunden zu haben. Mit einem Delman, dem zweirädrigen Karren des Nachbarn, fuhren sie bis zur Hauptstraße, dort stiegen sie in ein Sammeltaxi um, das Candra bei ihrer Mutter und Bernhard in der Innenstadt absetzte. Er nahm sich wieder ein Zimmer im «Surabaja». Auf dem Land hatte er nur selten an Ulrich gedacht, jetzt vermisste er ihn schmerzlich.
***
Ihm blieb nicht viel Zeit, das Schiff sollte bereits am Abend des nächsten Tages auslaufen. Er schloss sich in seinem Zimmer ein und wartete in einem unruhigen Dämmerzustand darauf, dass Frank an seine Tür klopfte. Er kam zur vereinbarten Stunde. Unter dem Arm trug er einen Karton, aus dem er eine Dämon-, eine Tier- und eine Königsmaske zog. Ihr Blick war auf Bernhard gerichtet. «Ich würde sie Ihnen gerne schenken, aber sie gehören mir nicht», sagte Frank und nannte einen Preis. Ohne nachzuzählen, gab Bernhard ihm ein Bündel Scheine. «Das ist zu viel!», protestierte
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