Der Maskensammler - Roman
aber das Gerede könne dem Ansehen der Familie Riederer schaden, ein Skandal müsse unbedingt vermieden werden.
Bernhard blickte mit einem zerstreuten Lächeln auf die Lippen des Notars. Er bedankte sich für den Hinweis, maß ihm aber keine größere Bedeutung bei und verdrängte ihn schnell, weil er außerstande war, über derlei Dinge zu sprechen, und schon gar nicht mit der Person, die das Gerücht betraf. Er beobachtete Katrin aus den Augenwinkeln, und als er außer dem geschminkten Gesicht nichts Auffälliges an ihr bemerken konnte, fragte er sie, ob sie an einer Anstellung als Haushälterin interessiert sei. «Ja, freilich», antwortete sie. «Dem alten Baron habe ich doch auch das Haus gemacht.» Und als sie ihm die Summe nannte, die sie als Lohn haben wollte, war er in Gedanken schon woanders. So übersah er, dass sie den Rock nicht übers Knie zog, wie es sich gehört hätte.
Katrin führte den Haushalt nachlässig. Die Staubflocken unterseinem Bett fielen Bernhard so wenig auf wie die schlecht gebügelten Hemden und die sehr begrenzten Kochkünste seiner Haushälterin. Stunden des Tages verbrachte er im Wohnzimmer, in den Anblick der feinen Gesichtszüge von Déwi Galuh Candra Kirana, der Prinzessin aus Kediri, vertieft. Immer noch lächelte sie, die anderen Masken aber sahen grimmig auf ihn herab. Gelegentlich blätterte er in seinen Skizzenbüchern und versah einzelne Zeichnungen aus der Erinnerung mit Anmerkungen.
Einmal notierte er an den Rand: «Hat Kommissar Langmut (warum habe ich mir eigentlich nie seinen wirklichen Namen notiert?) Antje auf mich angesetzt? Er wusste immer genau Bescheid, er war über jeden Schritt von mir informiert. Frank wird ihm berichtet haben, Antje auch? Immerhin stand ich im Verdacht, ein deutscher Spion zu sein. Wenn sie nur einen Auftrag erfüllte, als sie mit mir aufs Land zog, hat sie mich nie geliebt. Dann ist auch das Kind, mit dem sie schwanger geht, nicht von mir.»
***
Schon als das Taxi mit dem mürrischen Fahrer sein Kommen durch eine Fehlzündung angekündigt hatte, war Katrin klar gewesen, dass der junge Baron gleich im Hof stehen würde. Als er näher kam, erkannte sie ihn kaum wieder: Ausgezehrt sah er aus und ganz und gar nicht wie der künftige Herr von Haus «Diana» und den Ländereien, die dazugehörten. Sie hatte erfahren, was der Tod ist: Von ihrem Vater und Martin hatte sie keine Nachricht. Sie waren da draußen an der Ostfront, wo ganze Bataillone den Heldentod starben. Zweimal schon in diesem Jahr hatte sie den Leichenwagen vorfahren sehen. Ihre Mutter lag in einem noch frischen Grab, den alten Baron hatte man auf demselben Friedhof beerdigt, allerdings ein ganzes Stück von ihr entfernt, in der Familiengruft der von Riederer. Der Mann, dem sie nicht zutraute, dass er seine Kofferins Haus tragen konnte, roch nach Krankheit. Sie hoffte, dass er sie im Nebenhaus würde wohnen lassen, sie wusste nicht, was ihm so zugesetzt hatte, aber es war in ihrem Interesse, dass er sich erholte und wieder zu Kräften kam. Der Tod sollte künftig einen Bogen um Haus «Diana» machen.
Tatsächlich machten von nun an nicht nur der Tod, sondern auch die großen politischen Ereignisse einen Bogen um Haus «Diana». Bernhard hörte keine Radionachrichten und las keine Zeitung. Wenn Katrin gelegentlich eine Ausgabe von ihren Einkäufen mitbrachte, blätterte er sie flüchtig durch und benutzte das Papier zum Anzünden des Kamins oder zum Ausstopfen nasser Stiefel. Nur um überhaupt etwas zu sagen, fragte er sie ab und zu: «Was gibt’s Neues draußen in der Welt?», unterbrach aber bald ungeduldig ihren Bericht: «Nur das Wichtigste, bitteschön!» So erfuhr er aus ihrem Munde, dass die Alliierten auf allen Fronten im Vormarsch waren und dass bald Frieden sein würde. Manchmal strich Katrin auch Artikel und Kommentare an, die er lesen sollte, aber er ermüdete schnell, ihm fehlte das Interesse. Sie behandelte ihn wie einen Rekonvaleszenten, gewöhnte sich daran, dass er ihr nie eine persönliche Frage stellte, machte sich aber auch keine Gedanken, warum er nichts unternahm, eine Frau kennenzulernen.
Die Tage vergingen eintönig, Bernhard verlor das Gefühl, aber auch das Interesse am Ablauf der Zeit. Einmal stieg er hinauf in den zweiten Stock und betrat das Zimmer, das früher seins gewesen war. Das Bett stand noch an seinem Platz, auf der Matratze sah man Spuren seiner bittersüßen Träume, in denen er in wechselnder Gestalt seine Mutter herbeigesehnt hatte.
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