Der Maskensammler - Roman
fast täglich Umgang mit einem uralten, verschrumpelten Männchen hatte, behielt er für sich, ein entsprechender Hinweis tauchte in keinem seiner Krankheitsberichte auf.
Dann wurde das Institut von mehreren Sprengbomben getroffen, es blieben nur rauchende Ruinen. Bernhard sollte nie erfahren, welcher Virus ihn befallen hatte, aber ihm wurde mit Stempel und Unterschrift Wehruntauglichkeit bescheinigt. Auch als er sich langsam erholte, wurde er nicht eingezogen, konnte sich Jahre später vor Hitlers letztem Aufgebot, dem Volkssturm, drücken, hörte eines Tages in der Ferne Kanonendonner und unten an der Hauptstraße Maschinengewehrfeuer. Aber er erlebte das Kriegsende, ohne selbst einen Schuss abgegeben zu haben.
6. Kapitel
Den Tag, an dem das Deutsche Reich kapitulierte, verbrachte Bernhard im Gemüsegarten. Die Faust in den schmerzenden Rücken gestemmt, hatte Katrin ihm eines Tages erklärt, die Arbeit wachse ihr über den Kopf, und ihm, ohne lange zu fragen, einen Spaten und eine Harke in die Hand gedrückt. Er stellte sich ungeschickt an, aber mit der Zeit fand er Gefallen am Umgraben und Pflanzen. Er liebte den Geruch frischer Erde, und zu sehen, wie die Erbsen-, Möhren- oder Radieschen-Keimlinge sich durch den Boden drängten, erfüllte ihn mit Genugtuung. Er legte einen Komposthaufen an und verfolgte mit Interesse, wie die Gemüseabfälle verrotteten und zu Humus wurden. Ohne weiter nachzudenken, sah er darin den natürlichen Ablauf von Werden und Vergehen. Im Übrigen war er der Überzeugung, dass Rohkost aus dem eigenen Garten gesünder und bekömmlicher wäre als alles, was es beim Händler zu kaufen gab.
***
An einem Nachmittag im Frühherbst 1945 wurde Bernhard durch Motorengeräusche im Hof aus seinen Tagträumen geweckt. Aus einem in einem matten Olivgrün gestrichenen Wagen stiegen ein französischer Offizier und sein Fahrer, aus einem Begleitfahrzeug zwei Soldaten. Bernhard ging ihnen in seinem mittlerweile schon recht abgetragenen Cordanzug entgegen und begrüßte den unangemeldeten Besuch mit einem «Bonjour» wie willkommene Gäste.Die Soldaten postierten sich am Eingang, der Fahrer versuchte, mit seinen paar Brocken Deutsch mit der von den Männerstimmen angelockten Katrin ins Gespräch zu kommen, während der Offizier sich im Wohnzimmer von Haus «Diana» einen Tee einschenken ließ.
Er kam gleich zur Sache. Ob Herr von Riederer Waffen besitze, wollte er wissen. «Bitte nicht ‹von›», antwortete Bernhard und sagte in aller Unschuld, nein, Waffen hätte er nicht. An die Kammer auf halber Treppe dachte er nicht. «Aber Ihr Vater war doch Jäger», wandte der Offizier ein. «Ich habe das prächtige Geweih an der Fassade Ihres Hauses gesehen. Magnifique!» Darauf sagte Bernhard einen Satz, dessen erste Hälfte zutreffend, dessen zweite aber eine Notlüge war: «Mein Vater ist 1933 bei den Nationalsozialisten in Ungnade gefallen. Sie haben ihm sein Jagdgewehr abgenommen.»
Nach der zweiten Tasse Tee bat der französische Offizier, mit der freundlichen Arroganz des Siegers, durchs Haus geführt zu werden. Er öffnete Schlafzimmertüren, klopfte gegen Wände, sah unter lockere Dielenbretter, suchte vergebens einen Weinkeller und blieb schließlich vor der Eisentür der Kammer auf halber Höhe stehen. Diesen Raum habe er noch nie betreten, beteuerte Bernhard. Die Schlüssel hätte sein Vater versteckt, niemand wisse wo, er habe das Geheimnis mit ins Grab genommen. Der Offizier verriet durch ein Räuspern, dass er ihm kein Wort glaubte, und sagte ganz nebenbei, die Generalität der französischen Armee suche nach einem Haus in ruhiger Lage, das sich als Casino eignete. «Ich bin noch unschlüssig, ob ich dieses hier für den Zweck vorschlagen soll. Es gibt noch zwei andere Gebäude, die eventuell infrage kommen. Wir werden sehen. Ich komme wieder. Bis dahin werden Sie die Schlüssel zu der mysteriösen Kammer finden und alles genau so lassen, wie Sie es vorfinden. Wie gesagt, wir werden sehen.»
Die Worte des Offiziers hinterließen einen Schock, der Bernhard erst in die Glieder fuhr, als er zu Bett gehen wollte. Eine Beschlagnahme. Haus «Diana» ein Casino. Der Hof vollgeparkt mit Militärfahrzeugen. Ein General im Pyjama auf Vaters Balkon. Französinnen in hochhackigen Schuhen Champagner schlürfend im Wohnzimmer. Tanz in der Diele um Mitternacht zu den Liedern einer Chansonsängerin. Zigaretten von Militärstiefeln auf dem Teppich im Esszimmer ausgetreten. In der Küche stapelt sich
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