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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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wie leicht sich die Eingangstür öffnen ließ, nur noch ein paar Schritte und er stand im Raum. Der war von ein paar Kerzen erleuchtet und ganz erfüllt von einer Männerstimme, die etwas in einer Sprache sang, von der er nicht gedacht hätte, dass sie sich für Liebeslieder eignete.
    Auf Stühlen und einer Bank saßen junge Männer und Frauen, vielleicht acht oder zehn, ein Paar tanzte. Katrin kam auf ihn zu: «Haben Sie getrunken?», fragte sie. Er schüttelte den Kopf: «Nein.» – «Was wollen Sie hier?» Er war unerwünscht, er gehörte hier nicht hin, aber er konnte jetzt nicht gehen. Er musste auf die Musik hören, er spürte, wie ihr Rhythmus in ihn eindrang. Alle schauten auf ihn wie auf eine Erscheinung. «Vielleicht haben Sie ein Bier?» – «Nein, Bier habe ich nicht. Ich bringe Ihnen eine Limo.» Die Musik wurde lauter gestellt. Es tanzten jetzt alle, er fand einen Schemel, den er an die Wand rückte, um sich anlehnen zu können. Hier fühlte er sich sicher.
    Als wäre das so verabredet, wurden irgendwann die Musik abgestellt und die Schallplatten versteckt. Man verabschiedete sich mit einem Schulterklopfen, dann ging die Gesellschaft auseinander. Katrin stellte die Aschenbecher und die leeren Gläser weg, machte Licht und sagte: «Sie können hier nicht bleiben. Ich bringe Sie rüber.» Bernhard folgte dem auf- und abhüpfenden Licht ihrer Taschenlampe, es fiel ihm nicht schwer, das leere Haus zu betreten, er hatte noch die Melodien im Ohr, sie waren um ihn wie Nachtfalter und trugen ihn in das schwere, dunkle Bett, das jetzt seines war.
    ***
    Alle paar Tage zog er die Jagdstiefel des Vaters an und streifte durch die Wälder. Durchgefroren und oft nass bis auf die Haut kam er zurück, legte sich erschöpft ins Bett und ließ sich von Katrin die eiskalten Füße massieren. Das tat sie im Gegensatz zu allen anderen Verrichtungen gründlich und mit Hingabe, bis ihm warm wurde und er entspannt die Augen schloss.
    Draußen schien die Sonne, er aber saß in eine Decke gehüllt im Ohrensessel. Weder heißer Tee noch Katrins Massagen konnten ihm helfen, wenn die Kälte ihm bis in die Knochen kroch. An besonders schlechten Tagen geriet sein Körper außer Kontrolle. Sein Gesicht verfiel in Zuckungen, er klapperte fröstelnd mit den Zähnen und sehnte sich nach der feuchten Schwüle von Yogyakarta.
    Eines Abends zog er einen Band mit Erzählungen aus dem Bücherregal, um vor dem Einschlafen noch ein paar Seiten zu lesen. Die Geschichte hieß «Eine ideale Familie» und stammte von einer Autorin, die seine Neugier weckte, weil sie Neuseeländerin war. Gleich im ersten Absatz las er den Satz: «Er war müde, und obwohl die Nachmittagssonne noch schien, fröstelte es ihn, und am ganzen Körper war ihm merkwürdig benommen.» Er schloss die Augen und wiederholte flüsternd die Worte. Er war also nicht allein, was ihm widerfuhr, hatten schon andere erlebt. Und weiter hinten war noch ein Satz, wie für ihn geschrieben: «… beobachtete er ein kleines, uraltes, verschrumpeltes Männchen, das endlose Treppenfluchten hinaufstieg.» Das Männchen mit seinen dünnen, verkümmerten Spinnenbeinen sprang aus dem Buch. Es folgte ihm aus der Bibliothek in sein Schlafzimmer, es saß am dunklen Fußende seines Bettes, den Blick auf ihn gerichtet. Jetzt glitt es von der Kante, das Spinnenmännchen winkte ihm, er stolperte hinter ihm her die Treppen hinunter und sah, wie es am Ende des Flurs verschwand. Katrin fand ihn auf die Treppenstufen gestürzt, erstarrt in kaltem Schweiß und zu kraftlos, um sich zu erheben. Er konnte nicht sagen, wie lange er da schon lag.
    Sie rief den Arzt. Der schüttelte unsicher den Kopf, entnahm ihm Blut und füllte ein Röhrchen mit Urin, verordnete Bettruhe und verschrieb Chinin-Tabletten. Von einem Verdacht auf Malaria sagte er nichts. Die Laborwerte zeigten zwar Abweichungen, ergaben aber kein klares Bild. Kurz darauf wurde Bernhard ins städtische Gesundheitsamt bestellt. Er sollte auf seine Wehrtauglichkeit geprüft werden, ein Bericht des Hausarztes lag vor. Auch der Militärarzt zögerte mit einer Diagnose, hielt sich aber nicht mit bedächtigem Kopfschütteln auf, sondern schickte eine Blut- und Urinprobe an das Tropeninstitut in Berlin. Die Antwort verzögerte sich. Man hatte in der Reichshauptstadt andere Probleme, der von Schüttelfrost geplagte Patient aus der Provinz musste warten. Ohne sicheren Befund wurde seine Krankheit derweil von den Ärzten als ansteckend eingestuft. Dass er

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