Der Maya-Kalender - die Wahrheit über das größte Rätsel einer Hochkultur
pragmatisch, um der kalendarisch gespaltenen Stadt wirtschaftlichen Schaden zu ersparen: Es sollte bei reibungslosem Handel und einheitlichen Markttagen bleiben. Das nahmen viele Protestanten, die die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung ausmachten und von denKanzeln aus angeheizt wurden, ihren Ratsvertretern übel. Diese wiederum versuchten, ihre Entscheidung als eine rein weltliche darzustellen, aber trotzdem geriet die Stadt an den Rand eines Bürgerkriegs. Ähnliches geschah im gerade unter polnisch-litauische Herrschaft geratenen Riga, wo es gar zum Lynchmord an zwei Ratsmitgliedern kam. Hinzu traten halbherzige Teilreformen oder Rücknahmen bereits verfügter Anpassungen, so in Schweden. Bekanntestes Beispiel für das kalendarische Durcheinander ist der Abschluss des Westfälischen Friedens 1648, also mehr als ein halbes Jahrhundert nach der gregorianischen Reform. Er erhielt eine doppelte Datumsangabe, sowohl nach alter, julianischer Zählung als auch nach neuer, gregorianischer.
Aber nicht nur ideologische Gegner der römischen Kirche wüteten gegen die Kalenderreform. Von der Lücke im Kalender wurden die einfachen Menschen verunsichert, manchen erschien die Maßnahme als frevelhaft, andere beklagten finanzielle Verluste, weil Pachtzinsen zu fehlen schienen, wieder andere vermissten das liebgewonnene Fest ihres persönlichen Schutzheiligen, dessen Feiertag im Jahr der Reform von der ominösen Zehn-Tages-Lücke geschluckt wurde wie von einem schwarzen Loch. Dass vielerorts der Frühling des Reformjahres 1582 besonders nass und kühl ausgefallen war, legten manche Kritiker als vorweggenommene Tränen des Jahres über die gestohlenen zehn Tage aus, einige sahen wieder einmal das Weltende in greifbare Nähe gerückt.
Europaweit führten also in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zunächst nur die römisch-katholischen Länder den gregorianischen Kalender ein, die protestantischen Länder des Heiligen Römischen Reiches – also auch die reformierten deutschen Kleinstaaten – folgten erst 1700, weitere europäische Staaten zogen im 18. Jahrhundert nach. Besonders hartnäckig dem julianischen Kalender treu blieben im christlichen Europa England, wo man trotz der Union mit Schottland 1707 in London und in EdinburghNeujahr an verschiedenen Tagen feierte, und Schweden. Erst 1752 wurden die Kalender umgestellt – dass daraufhin in England ein handfester Kalenderaufstand unter dem Slogan »Gebt uns unsere elf Tage zurück!« ausbrach, ist allerdings eine Legende.
Vereint im Kalender war das westliche Christentum erst 1812, als auch der widerspenstige Schweizer Kanton Graubünden die gregorianische Reform angenommen hatte. Die orthodoxen Länder schlossen gar erst Anfang des 20. Jahrhunderts auf, während das orthodoxe Kirchenjahr bis heute an der alten Zählung festhält. Trotz der zunächst schleppenden Übernahme der Reform geriet der gregorianische Kalender über die Jahrhunderte zum Erfolgsmodell auch außerhalb der christlichen Welt: Noch vor Russland übernahmen Japan und China die europäische Kalenderform, 1926 machte es die Türkei ihnen nach – im Gefolge der Staatsgründung Kemal Atatürks und nicht unter der Bezeichnung christlicher, sondern »internationaler« Kalender. Heute gilt der gregorianische Kalender nahezu weltweit, auch in den mohammedanischen Ländern besitzt er längst größere Bedeutung als der islamische Kalender, der weitgehend auf den religiösen Bereich zurückgedrängt wurde.
Papst Gregor verbesserte mit seiner Neuordnung den Kalender des Römischen Reiches, der bereits eine Reform erfahren hatte und ebenfalls nach deren Urheber benannt worden war: Gaius Julius Caesar gab nicht nur dem julianischen Kalender seinen Namen, eigens für ihn wurde auch ein Monat des römischen Kalenders umbenannt, den wir bis heute Juli nennen. Weiterhin wird unser Kalender sowohl als gregorianischer als auch julianischer bezeichnet, auch wenn keiner der beiden Namensgeber bei null angefangen hat, sondern beide das bestehende Kalendersystem modifizierten, weil scheinbar kleine Ungenauigkeiten über große Zeiträume schleichend zu unübersehbaren Asymmetrien zwischen Kalender und astronomischemJahr geführt hatten. Und beiden erschien der Kalender als geeignetes Instrument, um ihren Machtanspruch zu untermauern.
Wenn Kalender nicht ausschließlich nach objektiven Gesichtspunkten funktionieren, ist entweder mangelndes astronomisches Wissen dafür verantwortlich – oder politische oder
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