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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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hübschen Mädchen hinterherpfeifen. Das Einzige, was sie durften, war lernen, lernen und nochmals lernen. Kein Wunder, dass ein Anlass wie meine Examensfeier für sie ein willkommenes Ventil war, einmal jegliche Disziplin zu vergessen.
    Nach einem weiteren Versuch, mir Gehör zu verschaffen, schrie ich schließlich:
»Silentium!«
Das half. Wenn auch nur vorübergehend. Denn nun riefen sie mit gespieltem Entsetzen: »Eine Rede! Er will eine Rede halten!« Und Gotthold Curtius, ein hünenhafter Bursche aus dem Elsass, stöhnte: »Auch das noch.«
    »Verschone uns!«, flehte Freimut Walth, den alle nur Silvanus nannten.
    »Lass uns leben!« Cordt von Bechstein, ein Adliger aus der Wetterau, rang die Hände.
    »Leben? Jedes Lebewesen ist ein Wesen!«, dozierte Eugenius Röist, ein Luzerner Kaufmannssohn, mit leicht verwaschener Aussprache. Es war eine Eigenart von ihm, immer dann die Argumentationsketten des Petrus Hispanus herunterzuleiern, wenn er zu viel getrunken hatte.
    »Jedes Lebewesen ist ein Wesen
    Jeder Mensch ist ein Lebewesen
    Also: Jeder Mensch ist ein Wesen.
     
    Kein Lebewesen ist ein Stein
    Jeder Mensch ist ein Lebewesen
    Also: Kein Mensch ist ein Stein …«
    »Aufhören!«, ertönte es von verschiedenen Seiten, und ich rief abermals: »Ruhe!« Dann hielt ich mein Geschenk wie eine Trophäe in die Höhe. »Ihr werdet nicht erraten, was ich dem Herrn Professor zur Feier des Tages und als Zeichen meines Dankes überreichen möchte.«
    In das erneut einsetzende Stimmengewirr, das überwiegend aus unsinnigen und albernen Vermutungen bestand, sagte Wentz: »Lukas, das ist doch nicht nötig.«
    »Doch, das ist nötig«, beharrte ich, »und jeder, der hier sitzt, wird das bestätigen.«
    »Jaja!« – »Wohl wahr!« – »
Recte,
der Herr!«
    Ich begann meine Rede und dankte meinem Förderer mit artigen Worten, versuchte, launig die eine oder andere Episode aus dem Studium zum Besten zu geben, erlaubte mir einen oder zwei Seitenhiebe auf die träge Verwaltung der Universität und überreichte schließlich, bevor ich zu langatmig wurde, das Präsent. Wentz wickelte es umständlich aus und sagte nur: »Oooh.«
    Was er in den Händen hielt, war ein Kuttrolf, ein bauchiges, aus grünem Waldglas hergestelltes Trinkgefäß mit zwei umeinandergewundenen Flaschenhälsen. Der Kuttrolf hatte mich eine Stange Geld gekostet, doch er war jeden Pfennig wert. Umso mehr, als ich sah, wie Wentz’ Augen aufleuchteten. Er war ein großer Freund der Tafelfreuden, schätzte einen guten Tropfen und war darüber hinaus von allem Schönen angetan. Trotzdem winkte er ab: »Lukas, das kann ich nicht annehmen.«
    »Doch!«, rief ich. »Das müsst Ihr sogar.«
    »Wie meinst du das?«
    »Schaut nur genau hin.«
    Das tat Wentz, und was er entdeckte, waren drei kunstvoll in den Flaschenkörper geschliffene Buchstaben: JHW  – seine Initialen.
    »Seht Ihr«, sagte ich fröhlich, »Ihr könnt gar nicht anders, Ihr müsst das Geschenk annehmen.«
    »Wo hast du das nur aufgetrieben?«
    Ich grinste. »Wird nicht verraten. Ich schlage vor, wir füllen den Kuttrolf mit Malvasier und überprüfen gemeinsam die Ausgießqualitäten der beiden Hälse.«
    Mein Vorschlag wurde begeistert aufgenommen und sofort in die Tat umgesetzt. Zunächst mit Wein, dann mit Bier und zuletzt mit hochprozentigem Enzian. Und je länger meine Gäste sich von der Qualität des Kuttrolfs überzeugten, desto höhere Wellen schlug die Stimmung. Irgendwann sah sich mein gütiger Lehrer gezwungen, dem Ganzen Einhalt zu gebieten. Er stemmte seine nicht unbeträchtliche Leibesfülle in die Höhe und sagte: »Liebe Kollegen, liebe Studiosi, liebe Freunde …« Und während er das sagte, wurde es – anders als bei mir – sofort still. Wentz lächelte und sprach weiter: »Bei all dem Frohsinn wollen wir nicht vergessen, dass dieses Meisterwerk der Glasbläserkunst nicht der Mittelpunkt des heutigen Abends ist.«
    Er machte eine Pause, um auch die Aufmerksamkeit des Allerletzten zu gewinnen, und hob erneut an: »Ebenso wenig wie ich. Es ist vielmehr unser Freund und Kollege Lukas Nufer oder besser:
Lucas Nufer ex Siegershausen,
wie er in der Matrikel steht, der am heutigen Abend unsere volle Aufmerksamkeit verdient. Dem möchte ich gerecht werden, indem auch ich das Wort ergreife. Nun, bekanntlich ist niemand vollkommen, deshalb werde ich für meine Rede unseren verehrten Aristoteles bemühen, dem wir die klassische Form der
oratio
verdanken. Aristoteles sagte dem Sinne

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