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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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bemerken. Der Dialog über Leben und Tod schien mir nicht sonderlich interessant, mehr noch, ich fand ihn überflüssig. Später jedoch sollte ich erfahren, dass die Kunst des Disputierens ein wesentlicher Bestandteil des Studiums ist und dass kein Geringerer als Aristoteles das Durchspielen gegensätzlicher Positionen als geistige Übung zur Erörterung philosophischer Probleme bezeichnet hatte.
    »Was machst du hier?« Wentz war auf mich aufmerksam geworden. »Hast du dich verlaufen?«
    »Nein, Euer Gnaden«, antwortete ich verlegen. »Ich möchte die Freien Künste studieren.«
    »Soso.« Er musterte mich von oben bis unten, und ich versuchte, einen möglichst vorteilhaften Eindruck zu machen. Ob mir das gelang, weiß ich nicht, doch nach ein paar bangen Augenblicken fragte er mich: »Wie heißt du, wie alt bist du, wer sind deine Eltern und warum glaubst du, zum Studium der Künste befähigt zu sein?«
    Das alles fragte er mich auf Latein, und ich begriff, dass dies eine Prüfung war. Sollte ich sie nicht bestehen, würde er mich umgehend wieder nach Hause schicken. Also antwortete ich, so gut ich konnte, in der Sprache der Wissenschaft und erwähnte zum Schluss, dass ich sechs Jahre lang die Lateinschule in Frauenfeld besucht hätte.
    Er musterte mich noch immer. Dann schürzte er die Lippen und sagte: »Du brauchst mich nicht mit ›Euer Gnaden‹ anzureden.«
    »Äh, jawohl.«
    »›Herr Professor‹ genügt. Das Bursengeld beträgt zwei Schilling in der Woche. Das ist für manchen recht viel, doch dafür ist das Studium umsonst.«
    »Jawohl, Herr Professor.« Ich fasste mir ein Herz und fragte: »Heißt das, ich darf bleiben?«
    Wentz nickte. »Dein Latein ist nicht schlecht. Von den anwesenden Herren könnte sich mancher eine Scheibe bei dir abschneiden.«
    Danach erklärte er mir, an wen ich mich wenden solle, um mich in der Burse zurechtzufinden. Morgen früh müsse ich zeitig im Universitätsgebäude sein, damit ich mich einschreiben könne. Ich müsse den Immatrikulationseid leisten und abschließend sechs Schilling bezahlen. Das sei die Gebühr. Falls es Komplikationen gebe, möge ich mich auf ihn berufen, dann würde das Notwendige seinen Gang gehen.
    Das alles lag vier Jahre zurück, und Johann Heinrich Wentz, den ich mittlerweile privat Johann nennen durfte, hatte mich von der ersten Stunde an unter seine Fittiche genommen und gefördert. Nicht dass ich stets ein fleißiger Student gewesen wäre – es gab andere, die ihre Nase öfter in die Bücher steckten –, aber Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit lagen einfach in seinem Wesen. Darüber hinaus war er hoch angesehen, weshalb man ihn vor zwei Jahren für ein Semester zum Rektor der Universität gewählt hatte, was einerseits eine große Ehre darstellte, ihn andererseits aber viel Zeit kostete. Zeit, die ihm fehlte, um die Repetierübungen und den Unterricht in der Burse zu beaufsichtigen. So hatte er mich nach meinem Baccalariat zum Vizeregenten ernannt und mir damit die Möglichkeit eröffnet, ein wenig Geld zu verdienen, um von den Zuwendungen meines Vaters unabhängiger zu werden.
    Dennoch herrschte in meiner Geldkatze ständig Leere, und das sorgsam verpackte Geschenk, das ich Wentz nun übergeben wollte, hatte nicht gerade dazu beigetragen, meine finanziellen Verhältnisse zu verbessern. Natürlich hätte ich etwas Preisgünstigeres erwerben können, etwa ein Barett, eine Agraffe oder ein Paar Handschuhe – übliche Dinge, die andere Promovierte übergaben, um dem guten Brauch Genüge zu tun, aber ich wollte etwas ganz Besonderes schenken. Und ich war gespannt, wie Wentz darauf reagieren würde.
    Ich stand auf und hob Ruhe gebietend die Arme. »Hochgeschätzter Herr Professor!«, rief ich, beugte mich zu ihm hinab und fügte leise hinzu: »Lieber Johann.«
    Ich wollte weiterreden, konnte es aber nicht, weil die meisten der Anwesenden das Malvasierfässchen auf dem Zapfbock und das Zuckerwerk auf dem Tisch wichtiger fanden als meine Worte. Ich verübelte ihnen das nicht, denn ihr Leben in der Burse und ihr Alltag an der Universität waren mit Verboten gespickt. Sie durften nachts ihre Schlafräume nicht verlassen, nicht fragwürdige Häuser besuchen, nicht über die Stadtmauer klettern, sie durften nicht mit Karten oder Würfeln spielen, nicht Pluderhosen, Schlitzärmel oder gehörnte Schuhe tragen, nicht raufen, nicht trinken, nicht tanzen, sie durften keine Waffen tragen, keine Tiere halten, keine Versammlungen besuchen und keinem

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