Der Medicus von Heidelberg
Glück, Glück Glück Glück Glück Glück Glück! Glück Glück Glück Glück Glück Glück Glück Glück Glück.«
Wentz wurde nun sichtlich ärgerlich. Doch bevor er Fischel zurechtweisen konnte, sagte dieser mit treuherzigem Augenaufschlag: »Verzeiht, Herr Professor, ich habe nur mein eigenes Verständnis des Nominalismus zum Ausdruck gebracht und gesagt: ›Lieber Lukas, ich freue mich sehr für dich! Du wirst eines Tages sicher ein großartiger Arzt sein.‹ Mehr nicht.«
»Du wirst morgen zwei Stunden extra aus dem
Doctrinale
repetieren!«
»Jawohl, Herr Professor.« Fischel gab sich zerknirscht. Dann wackelten er und das Pferd gleichzeitig mit dem Kopf. Es sah seltsam lächerlich aus, und ich dachte, jetzt treibt er es zu weit, doch dann wurde mir klar, dass es nicht nur ihm, sondern uns allen so ergangen war. Wir alle hatten gezuckt. Unfreiwillig. Und schon wieder schien uns eine unsichtbare Kraft durchzuschütteln. Der Boden unter uns erzitterte. Das Gebälk über uns ächzte. Putz und Staub fielen herab. »Ein Erdbeben!«, schrie jemand. »Ein Erdbeben!« Alles hastete zur Tür. Ein Dachbalken fiel mit Getöse herab und begrub mehrere Gäste unter sich. Ein zweiter folgte. Schreien, Husten, Hilferufe. Ich bekam einen Stoß in die Seite, wirbelte herum, verlor das Gleichgewicht. Mühsam rappelte ich mich hoch. »Unter den Tisch!«, rief ich. »Kriecht alle unter den Tisch!« Ich packte Wentz, der mit weit aufgerissenen, ungläubigen Augen auf das Tohuwabohu starrte. »Unter den Tisch, Johann!« Ich drückte ihn zu Boden, wollte ihn unter den Tisch drängen, doch es gelang nicht. Da warf ich mich über ihn, um ihn zu schützen.
»Lukas, pass auf!«, hörte ich ihn unter mir stöhnen, doch das nahm ich kaum noch wahr. Ich hatte das Gefühl, jemand würde ein schwarzes Laken über mich werfen. Mir schwanden die Sinne.
Eine große Leere umfing mich.
Als ich aufwachte, blickte ich in ein strenges Gesicht, das umrahmt war von einer großen weißen Haube. Es war das Antlitz einer Nonne, die mir mit einem feuchten Tuch die Stirn kühlte. »Wo bin ich?«, fragte ich. »Wie komme ich hierher? Wo sind die anderen?«
»Fragt nicht so viel auf einmal. Ihr habt noch Fieber. Ihr müsst Euch ausruhen.«
Die Nonne, eine Frau mittleren Alters, legte das Tuch zur Seite und schlug ein Kreuz. »Jesus Christus sei Dank, dass Ihr wach geworden seid. Es scheint, als hättet Ihr das furchtbare Beben unbeschadet überstanden.«
»Das Beben? Ach ja …« Plötzlich waren sie wieder da, die schrecklichen Bilder. Sie drängten sich mir auf, packten mich, ließen mich erschauern. Doch ich wollte sie nicht sehen. Ich musste einfach an etwas anderes denken. »Wo bin ich?«, fragte ich abermals.
»Ihr seid im Spital am Barfüßerplatz. Gottlob ist es eines der wenigen Gebäude im Quartier, das nichts abbekommen hat.«
»Was ist mit den anderen?«
»Ihr meint Herrn Professor Wentz und die Gäste Eurer Examensfeier? Der Professor liegt in der Bettenreihe gegenüber, fünf weitere Herren wurden ebenfalls aufgenommen.«
»Ich muss zu ihnen.«
»Ihr müsst gar nichts, außer gesund werden.« Der Ton der Nonne ließ keinen Widerspruch zu.
»Ihr habt eben selbst gesagt, dass ich das Erdbeben unbeschadet überstanden habe.«
»Mag sein. Aber Euer Zustand erlaubt es nicht.«
»Wer seid Ihr überhaupt, dass Ihr so mit mir redet?«
»Ich bin Schwester Edelgaard. Und nun schlaft weiter.«
Ich sah ein, dass ich der strengen Frau nicht gewachsen war, und gab nach. »Nun gut«, sagte ich, »vielleicht schlafe ich ein bisschen. Aber danach muss ich zu Wentz.«
»Jaja.« Sie tätschelte mir flüchtig das Gesicht, wie man es bei einem Kind tut, und entfernte sich. Ich blickte mich um. Ich lag in einem Saal mit zwanzig Betten, jedes aus groben Latten gezimmert, versehen mit Strohmatratzen und Bettzeug aus Nesselgarn. Insgesamt zehn auf jeder Längsseite. In den Wänden befanden sich quadratische Fenster, deren Läden geöffnet waren. Dazwischen hatte man einfache Öllämpchen aufgehängt. Viel Tageslicht drang nicht durch die Fenster. Alles in allem wirkte der Saal wenig einladend. Ein trister Ort, um gesund zu werden.
Nach einem weiteren Blick, der mir verriet, dass die schroffe Schwester den Saal verlassen hatte, schwang ich die Beine aus dem Bett und erhob mich. Das heißt, ich bemühte mich darum, denn der erste Versuch scheiterte kläglich. Erst beim zweiten Mal kam ich halbwegs auf die Füße. Vor meinen Augen drehte sich
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