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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Ostergottesdienst, den die Georgenburse geschlossen in der Michaeliskirche besuchte, wurde der Römer im Beisein seiner Eltern und Verwandten feierlich der geweihten Erde des angeschlossenen Friedhofs übergeben, und nicht wenigen von uns rann dabei eine Träne die Wangen herunter. Es war ein trauriges Osterfest, und nur die Verkündigung der Wiederauferstehung Christi – und damit aller gläubigen Verstorbenen – vermochte uns leidlich zu trösten.
    Der Römer, der ein ebenso guter Freund wie fröhlicher Zecher gewesen war, sollte uns für alle Zeiten fehlen.
     
    Am Dienstag nach Ostern machte ich einen langen Spaziergang mit Schnapp. Wir wanderten am Ufer der Gera entlang, und wie von selbst gelangte ich zu der Stelle, an der unser Römer so elend gestorben war. Ein Fisch lag da. Es musste der tote Hecht sein. Irgendjemand hatte ihn dem Römer aus dem Mund gerissen – ein Hohn des Schicksals, dass es zu spät gelungen war. Über diesem Gedanken kam ich ins Grübeln. Ich sinnierte über die Zeit, diese seltsame Herrin über das Geschehen auf der Welt. Sie war es, die alles bestimmte, sie war es, die alles vergänglich machte, sie war es aber auch, in deren Verlauf Trost und Zuversicht lagen. Die Zeit eilt, teilt und heilt, so hieß es, und an diesem Tage spürte ich, wie wahr diese einfachen Worte waren.
    »Komm, mein Großer«, sagte ich nach einer Weile zu Schnapp, »schnuppere nicht länger an dem verhängnisvollen Fisch, wir wollen nach Hause.«
    Bald darauf waren wir wieder in unserer Kammer, wo ich wie angewurzelt stehen blieb. Auf dem Tisch lag ein Paket, wie ich es schon einmal erhalten hatte. Diesmal ersparte ich mir die Nachforschungen, von welchem Boten es gebracht worden war, sondern begann sofort, es zu öffnen. Ich entfernte die Kordel und die Verpackungsschichten, wurde dabei immer aufgeregter und zog schließlich wieder eine Pomeranze hervor. »Odilie«, rief ich, »abermals eine Frucht von dir! Doch was willst du mir damit sagen?«
    Ich setzte mich ans Fenster, um wie schon beim ersten Mal die Pomeranze eingehend von allen Seiten zu betrachten, konnte aber nichts Ungewöhnliches feststellen. Meine Hoffnung, das Paket könne eine Antwort auf meinen zweiten Brief, den ich wenige Wochen zuvor nach Heidelberg geschickt hatte, enthalten, erwies sich als trügerisch. Wieder hatte ich dem Brief eine Rose beigelegt, um meine unverbrüchliche Treue und Liebe zu verdeutlichen, nur beim Absender war ich etwas mutiger geworden. Ich hatte mit »Lukas« unterschrieben, um jeden Zweifel auszuräumen, wer der Verfasser des Briefes war.
    Ich roch an der runzligen Oberfläche der Pomeranze und bildete mir ein, den Duft von Odilies Haut wahrzunehmen. Für einen winzigen Augenblick war sie mir so nah wie früher, doch der Augenblick verflog und machte einer Sehnsucht Platz, die größer war als je zuvor. »Odilie«, murmelte ich heiser, »Odilie, meine kleine Prinzessin, du hast mir diese Pomeranze geschickt, und ich glaube, sie ist ein Zeichen deiner Liebe, nur, um alles in der Welt, wie heißt deine weitere Botschaft?«
    Lange saß ich so und grübelte. Dann stand ich auf und legte die Frucht auf das Regal neben die erste. »Wir haben jetzt zwei Pomeranzen, Schnapp«, sagte ich traurig zu meinem Hund, »sie bergen, das spüre ich genau, ein Geheimnis. Kannst du mir nicht helfen, mein Großer?«
    Doch Schnapp legte nur den Kopf schief und sah mich aus treuen Augen an.

Kapitel 10
    Erfurt,
26 . März bis 19 . Mai 1505
    T ags darauf zog ein junger Mann in die frei gewordene Kammer des Römers. Er war eher ein Knabe, noch keine siebzehn Jahre alt, doch von überraschendem Selbstbewusstsein. Sein Name war Ulrich von Hutten. »Eigentlich«, verkündete er Luther, Tafelmaker, von Prüm, Rotenhan und mir, »wollte meine Familie, dass ich den Beruf des Ritters ergreife, aber ihr seht ja selbst, dass ich kein Goliath bin.«
    Da hatte er in der Tat recht. Wir saßen im
Färberwaid,
und sein Kopf reichte dem neben ihm sitzenden Luther nur gerade bis zum Ohr.
    »So hat mein alter Herr beschlossen, mich ins Kloster Fulda zu stecken, auf dass ich ein Mönch werde.« Von Hutten grinste spitzbübisch. »Wahrscheinlich sah er eine steile Laufbahn bis hin zum Bischof oder zum Kardinal in Rom vor mir. Allerdings hatte er die Rechnung ohne mich gemacht. Mir behagte das Leben als züchtiges Mönchlein nicht.«
    »Stattdessen willst du also ein Artist werden?«, fragte Eobanus Koch, der sich zu uns gesellt hatte. Koch war in

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