Der Medicus von Heidelberg
schwer, das sah man, denn den Männern schwollen die Adern an den Schläfen.
»Wer seid Ihr, dass Ihr es wagt, Gott zu bestehlen?« Splendorius war es gelungen, die Hand von seinem Mund wegzuzerren.
»Warum fragt Ihr, Ihr kennt mich doch.« Noch immer lachte der Ritter, und es klang wahrhaftig so, als lache er Splendorius aus. Dann, unvermittelt, klappte er sein Visier hoch. »Ich bin Wilko von Ettersburg, wir hatten vor wenigen Tagen das Vergnügen miteinander.«
»Jetzt erinnere ich mich. Ihr werdet zur Hölle fahren und wie Geschmeiß in den Flammen verbrennen!«
»Das werde ich nicht. Darf ich Eurem Gedächtnis auf die Sprünge helfen?« Ettersburg hielt seine eisenbewehrte Hand auf, und ein Bediensteter legte eilfertig ein pergamentenes Schreiben hinein. »Hier steht es schwarz auf weiß, dass ich Euch die Summe von fünf Gulden gab, als Ablass für alle meine noch zu begehenden Sünden. Es kann mir also gar nichts passieren, wenn ich Euch beraube. Gott wird mir vergeben. Das ist, Ihr sagtet es gerade, so sicher wie das Amen in der Kirche.«
Angesichts dieser Unerhörtheit fehlten Splendorius die Worte. Doch Ettersburg war noch nicht fertig. Im Fortreiten rief er lachend: »Und wenn Ihr einen neuen, vollen Kasten habt, lasst es mich wissen. Ich sündige immer wieder gern!«
Als der Ritter verschwunden war, löste sich die Anspannung in der Menge nur langsam. Doch dann kicherte einer schadenfroh, und ein anderer fiel ein. Immer mehr der Umstehenden kicherten und lachten, und Luther sagte: »Das geschieht diesem Betrüger Splendorius recht. Es tut mir nur leid um alle Sünder, die diesem Moloch ihr Geld in den Rachen geworfen haben.«
»Ich hoffe, es wird ihnen eine Lehre sein«, antwortete ich, »denn mit der Begründung für seinen Raub hat Ettersburg die Machenschaften der Kirche
ad absurdum
geführt.«
»Das ist wahr«, sagte Luther. »Komm, wir gehen zurück nach Erfurt.«
Kurz vor dem Osterfest, das in diesem Jahr auf den dreiundzwanzigsten März fiel, ereignete sich etwas, das uns allen zeigte, wie nahe Leben und Sterben beieinanderliegen: Faustus Jungius, der Römer, verschied ganz plötzlich, ein Ereignis, das nicht nur die ganze Burse in Aufregung und Trauer versetzte, sondern auch Anlass zu den wildesten Gerüchten gab. Später jedoch, als der wahre Hergang bekannt wurde, stellte sich heraus, dass die Wirklichkeit noch weitaus absonderlicher war.
Am Mittwochabend der Karwoche war der Römer allein ans Ufer der Gera gegangen, war durch das seichte Wasser bis zu einer Sandbank gewatet und hatte sich dort niedergelassen, um einer seiner wenig bekannten Leidenschaften zu frönen – dem Angeln. Er hatte den Haken ausgeworfen und dann nach Anglersitte ruhig und geduldig auf den Biss des Fisches gewartet. Darüber schien er müde geworden zu sein, denn er gähnte ein ums andere Mal herzhaft. Plötzlich war ein Fisch an der Angel gewesen, ein junger Hecht, der sich losreißen wollte und dabei dem Römer in den Mund sprang. Der versuchte, das Tier herauszuspucken, doch es misslang. Der Fisch kämpfte um sein Leben, zuckte wie närrisch im Vorwärtsdrang und gelangte dabei immer tiefer in den Schlund. Alsbald kämpfte auch der Römer um sein Leben, denn die Luft wurde ihm knapp. Er keuchte, würgte und zerrte. Doch es war vergebens, das Tier sperrte sich mit jeder einzelnen Schuppe gegen seine Bemühungen, und auch als ein paar Helfer vom Ufer herangeeilt kamen, wurde es nicht besser. Es gelang ihnen nicht, den vermaledeiten Fisch hervorzuholen. Dem Römer wurde die Luft knapp und knapper, und schließlich sank er mit weit aufgerissenen Augen in den Sand. Röchelnd, schluckend, mit den Armen rudernd.
Ein paar Augenblicke später war es vorbei. Der Gejagte hatte sich an dem Jäger gerächt. Angler und Fisch waren im Tod vereint.
»Der Fisch, ein Symbol der Fastenzeit und des Friedens«, hatte Gansdorff, der Regent der Burse, geklagt, als noch am selben Abend eine Trauerandacht vor dem kleinen Hausaltar stattfand, »und doch hat dieser Fisch unserem lieben Freund Faustus Jungius sein Leben genommen. Es war der Wille des Herrn. Sein Ratschluss ist unergründlich und soll vom Menschen nicht in Zweifel gezogen werden. Fügen wir uns also in Gottes Urteil und ergeben wir uns in Demut.
Pater noster, qui es in caelis: sanctificetur nomen tuum …
«
Sämtliche Bursarier hatten ergriffen das Vaterunser mitgemurmelt und das ewige Seelenheil für den Verstorbenen herabgefleht.
Nach dem
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