Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
derselben Woche, in der Luther sein Magisterexamen abgelegt hatte, zum Baccalarius promoviert worden. Er war nicht wenig stolz darauf, zumal er sich seitdem im Kreis von uns Älteren bewegen durfte.
    »Ja, ich will ein Mann der Künste werden«, rief von Hutten mit heller Stimme. »Wirt, die Becher sind leer. Fülle sie neu für meine Freunde und mich.«
    »Du bist recht spendabel«, sagte ich verwundert.
    »Und schon recht trinkfest für dein Alter«, ergänzte Luther.
    Von Hutten lachte: »Wenn ich schon kein Ritter werden darf, obwohl ich der Erstgeborene in der Familie bin, will ich wenigstens so saufen wie einer. Prosit!«
    »Prosit«, antworteten wir und tranken.
    Ich musste an meinen Vater denken, der mich mit einiger Mühe noch immer unterstützte, und sagte: »Vielleicht geht es mich nichts an, Ulrich, aber es wäre womöglich besser, wenn du dein Geld zusammenhieltest. Ein Studium ist lang und der Weg von der ersten bis zur letzten Lektion beschwerlich.«
    »Ach was!« Von Hutten knallte seinen Glasbecher auf die Tischplatte. »Was sein muss, muss sein. Wozu ist alter Adel gut, wenn er seine Söhne nicht geziemend beim Studium unterstützt! Im Übrigen bin ich hier ja in keiner armen Stadt gelandet. An die hundert Kirchen und Kapellen und drei Dutzend Klosteranlagen soll es in Erfurt geben. Vorgestern war ich, nachdem ich mich immatrikuliert hatte, in der Severikirche, und wisst ihr, was ich da gehört habe? Dass für den heiligen Severus eigens ein Sarg aus massivem Silber angefertigt wurde. Welch eine Prasserei der Kirche! Da soll noch einer kommen und mir von Armut und Keuschheit predigen. Prosit!«
    Wieder tranken wir, und Luther sagte: »Dafür, dass du noch so jung bist, schimpfst du aber schon recht laut auf die Kirche.«
    »Die Wahrheit hängt nicht von der Zahl der Jahre ab«, entgegnete von Hutten.
    »Aber so manches andere …«, wollte Tafelmaker widersprechen und zu einem seiner Zahlenmonologe ansetzen, doch Luther lenkte den Mathematicus rechtzeitig mit einem Lied auf seiner Laute ab. Er spielte die Weise von dem Schneider, der nach jedem Becher eine schiefere Naht setzt, und als er fertig war, sagte von Hutten: »Bei meiner Ehre, das war ein schönes Lied. Aber es ändert nichts daran, dass die Kirche viel zu viel Protz und Prunk in ihren Wänden zur Schau stellt. Kelche, Kreuze, Mitren, Monstranzen, Turibula … Gold, Gold, Gold, wohin das Auge blickt. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich war im Kloster und habe das Gepränge in der Kirche gesehen. Und ich habe noch viel mehr gesehen. Ich weiß, dass viele Glaubensbrüder gütigen Herzens sind, ich weiß aber auch, dass es welche gibt, die voller Falsch sind. Sie sind scheinheilig. Sie sind arglistig. Sie verdammen die Fleischeslust und erliegen ihr selbst in widernatürlicher Lust. Viele tun es, doch keiner redet darüber. Stattdessen reden sie von der heiligen Mutter Kirche und setzen sie mit ihren eigenen Wünschen gleich, eine Anmaßung, die lediglich beweist, dass die Kirche Menschenwerk ist und nichts mit Gott zu tun hat!«
    »Das sind harte Worte«, sagte Luther.
    »Aber sie sind vermutlich wahr«, fügte ich an. »Du musst sehr verbittert sein, Ulrich.«
    »Das bin ich.« Von Hutten war im Laufe seiner langen Rede immer ernster geworden. Er war jetzt nicht mehr der fröhliche, freigebige Zecher, sondern ein Mahner, dessen Worte reifer waren als seine Jahre. »Ich habe die Nase voll von den Verkündern des allein selig machenden Glaubens. Über alles legen sie den Gedanken der Sünde. Schon dass wir leben, ist Sünde, sofern unsere Eltern bei der Zeugung einen Funken Lust verspürten. Das Leben ist schmutzig, der Körper ist schmutzig, das Fleisch ist schmutzig, die Begierden sind schmutzig, selbst der Wunsch nach Essen und Trinken ist schmutzig. Man stelle sich vor: Essen und Trinken als unreine Last!«
    »Je länger wir uns waschen, desto unreiner werden wir. So klingt’s jedenfalls.« Luther war sehr nachdenklich geworden. »Doch nicht alle Mönche sind schlecht.«
    »Das sage ich auch nicht. Trotzdem bin ich heilfroh, dass ich die Gelübde verweigert und dem Kloster den Rücken gekehrt habe.«
    »Wenn du so strikt gegen die Kirche bist, verdammst du sicher auch den Ablass und die Inquisition?«, fragte ich.
    »Von ganzem Herzen!«
    »Dann bist du wie wir ein Humanist«, platzte Eobanus heraus.
    »Ein Humanist? Kann schon sein, wenn ich genau wüsste, was das ist.«
    Tafelmaker erklärte es: »Im Humanismus ist der Mensch die

Weitere Kostenlose Bücher