Der Medicus von Heidelberg
Augenblick und warf eine Handvoll Münzen hinein, die er zuvor von einem Sünder erhalten hatte. Es klimperte verheißungsvoll. »Du hast recht getan, mein Sohn!«, dröhnte Splendorius dazu. »Deine Seele wird gerettet sein!«
Er klappte den Deckel der Kiste wieder zu, trat an einen danebenstehenden Tisch und ergriff ein Papier. »Hier hast du deinen Ablassbrief, von mir persönlich unterschrieben. Ziehe hin in Frieden!«
Luther neben mir schnaubte verächtlich. »Widerwärtig, was der Kerl da tut. Als ob Gottes Barmherzigkeit und Gnade käuflich wären!«
Ich nickte. »Welch ein scheinheiliger Heuchler.« Langsam wurde mir klar, was der alte Töpfer gemeint hatte, als er die Handlungen mancher Prediger als nicht gottgefällig bezeichnete.
»Alles Lug und Trug«, empörte sich Luther weiter, während Splendorius schon den nächsten Ablassbrief ausfüllte. »Aber das ist bezeichnend für die Dominikaner. Da sieht man wieder einmal, woher ihr wahrer Name kommt:
Domini canes,
die Hunde des Herrn, die Spürnasen, denen nichts lieber ist als die Witterung von Geld. Ablass und Inquisition, das sind für sie zwei unerschöpfliche Einnahmequellen!«
»Das wusste ich nicht.«
»Nicht einmal ein gutes Papier oder Pergament nimmt dieser Betrüger für seinen Ablassbrief, von einem bischöflichen Siegel ganz zu schweigen.«
Inzwischen war ein altes Mütterchen an den Ablasskasten herangeschlurft und sagte mit zittriger Stimme: »Vater, ich habe gesündigt, bitte rettet meine Seele.«
»Was ist dir denn widerfahren, meine Tochter?« Splendorius’ Stimme sollte leutselig klingen, doch für das hellhörige Ohr klang sie falsch, nicht zuletzt, weil er eine in Ehren ergraute Frau mit »Tochter« anredete.
Das Mütterchen begann zu weinen. »Es ist so schrecklich. Vor einer Woche war’s, da bat ich meinen einzigen Sohn, aufs Dach zu klettern und drei Schindeln auszutauschen, und dabei ist er … oh, Gott, es ist so furchtbar!«
»Was ist so furchtbar, meine Tochter? Rede nur frei heraus.«
»Dabei hat er den Halt verloren und sich zu Tode gestürzt, und ich bin schuld daran, ich allein, oh, oh, wie habe ich mich versündigt!«
»Wie viel hast du dabei, meine Tochter?« Splendorius klang auf einmal sehr sachlich.
»Neun Pfennige, Vater, das ist alles.«
»Alles, sagst du? Wisse, die Augen des Herrn blicken auf dich herab und sehen durch dich hindurch. Sagtest du wirklich, das sei alles?«
»Jetzt ist es aber genug!« Luther bebte vor Zorn. Er hatte so laut gerufen, dass die Umstehenden sich umsahen und ihn befremdet anstarrten. »Komm, Lukas, wir können nicht dulden, dass diese Hohngestalt eines Gottesmannes …« Weiter kam er nicht, denn er und ich wurden jählings zur Seite gestoßen. Auch anderen Neugierigen erging es so, dafür sorgten die groben Hände von mehreren Landsknechten. Sie schufen eine Schneise in der Menge, um den Weg für einen Ritter frei zu machen, der sich hoch zu Ross näherte. Im ersten Augenblick dachte ich, es handele sich um den grausamen Hans Talacker von Massenbach, der mich und die mir Anbefohlenen damals in Gertruds Kutsche überfallen hatte, aber dann sah ich, dass dieser Ritter einen anders geschmiedeten Harnisch trug.
»Gott zum Gruße, Splendorius!«, rief er in einer Lautstärke, die es spielend mit der Stimme des Predigers aufnehmen konnte. »Ich bin gekommen, um mir meinen Ablasskasten zu holen.«
»Euren Ablasskasten, Herr?«
»Ihr habt richtig gehört.«
»Wie könnt Ihr Euch holen wollen, was nicht Euch, sondern Gott gehört!«
»Der Kasten gehört mir, weil ich ihn mir nehme. Solltet Ihr nicht einverstanden sein, macht Euren letzten Atemzug.«
Splendorius’ Unterlippe begann zu zittern. Offenbar gehörte er nicht zu den Mutigen im Lande. Doch dann straffte er sich. Es galt, sein Erschwindeltes zu verteidigen. »Vor Gott sind alle Menschen gleich!«, rief er. »Auch Ihr seid sterblich, vergesst das nicht. Wer mich bestiehlt, bestiehlt den Herrn. Überlegt es Euch, oder Ihr werdet für alle Zeiten in der Hölle schmoren, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.«
Die Antwort des Ritters war nur ein Wink. Ein Landsknecht, der hinter Splendorius gestanden hatte, trat daraufhin vor und hielt ihm von hinten den Mund zu. Der Protest des Predigers endete in einem unverständlichen Gurgeln.
Der Ritter lachte. Ein weiterer Wink veranlasste vier seiner Männer, den schweren Kasten an den Ecken zu ergreifen und zu einem mitgeführten Wagen zu tragen. Der Kasten war
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