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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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sich tief. »Wir bleiben besser bei unserem Sohn, Herr Professor. Das Kindlein zu Hause ist uns heute Abend wichtiger als das Kindlein in der Krippe. Aber beten wollen wir gern für Euch.«
    »Danke.« Koutenbruer nickte erfreut. »Man merkt doch gleich, wenn einer ein braver Christenmensch ist.«
    Dann ging er.
     
    Das neue Jahr kam und mit ihm klirrender Frost. Es dauerte nicht lange, und dicke Eisschollen trieben auf dem Neckar. Das Leben auf dem Fluss und in der Stadt erstarrte. Die Menschen hüllten sich in dicke, wärmende Wolle und verließen nur dann ihre Häuser, wenn es unbedingt sein musste.
    Doch der Markt an der Heiliggeistkirche fand nach wie vor statt, auch wenn das Angebot der Händler nicht mehr groß war. Gemüse, Obst, Blumen und Fisch wurden, wenn überhaupt, nur in getrocknetem Zustand feilgeboten und stammten noch aus dem alten Jahr. Brot und Wurst und andere kräftigende Speisen jedoch wurden nach wie vor hergestellt und fanden guten Absatz. Die Menschen drängten sich um die Verkaufsstände und feilschten mit den Händlern um die Ware.
    Einer von ihnen war ich. Doch mir ging es nicht um den Erwerb irgendwelcher Speisen, ich wollte mich vielmehr umsehen. Denn nach wie vor hoffte ich, meine Prinzessin unter den Marktbesuchern zu entdecken.
    So verging der Januar. Der Februar kam. Dann der März. Die Tage wurden wärmer und länger. Der Neckar taute auf, die Fischer konnten wieder hinausfahren, die Treidelpfade am Ufer wieder genutzt werden. Fischel sorgte dafür, dass ich den einen oder anderen schönen Hecht oder Zander bekam. Er schenkte mir die Fische wohl auch aus Dankbarkeit dafür, dass der kleine Simon sich von der Bräune wieder vollständig erholt hatte, nachdem von mir nur wenige Tage nach der Operation der Halm entfernt und die Wunde geschlossen worden war. »Irgendwann wirst du wieder eine Pomeranze vor deiner Tür liegen haben«, sagte er. »Ich hab’s dir versprochen.« Dann zog das altbekannte Grinsen über sein Gesicht. »Wie sagt ihr Christen doch immer? Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.«
    Doch die Nachricht, die ich schließlich bekam, erreichte mich auf einem ganz anderen Weg. Ich hatte eine Vorlesung von Professor Koutenbruer über die seltsame Erscheinung des Hermaphroditismus besucht und strebte vom Auditorium Medicum heim ins Hospital, wo Schnapp in Rosannas Obhut auf mich wartete. Der Stoff, den Koutenbruer behandelt hatte, war wie immer trocken vorgetragen worden, aber dennoch fesselnd gewesen. Ich hatte gelernt, dass der Sohn des Hermes und der Aphrodite durch die Umarmung des verliebten Nymphleins Salmakis zum zweigeschlechtlichen Wesen wurde – und damit zum ersten Zwitter der Welt. Danach hatte Koutenbruer über die These des männlichen und weiblichen Samens gesprochen, dann über die Besonderheiten, die darüber bestimmten, ob der Same zu einem Maskulinum oder Femininum heranreife, über die Temperatur, die, wenn sie kalt sei, eher eine männliche Entwicklung nach sich ziehe, wenn sie warm sei, eher eine weibliche, dann über die Jahreszeiten, die bei der Entscheidung eine Rolle spielten, dann über das Alter des Mannes, das ebenfalls von Bedeutung sei, das Alter der Frau, die Nahrung, die sie zu sich nehme, und so fort. Dann erst war er wieder auf das eigentliche Thema zurückgekommen, hatte von der Mischung aus zweierlei Samen gesprochen, die ungewöhnlich selten sei, und darüber, dass die Wissenschaft in der Erforschung der Zwitterwesen erst ganz am Anfang stehe.
    Ich war so in Gedanken vertieft, dass ich die alte Frau erst im letzten Augenblick bemerkte. Sie kam aus einer Seitengasse geschlurft und stieß unsanft mit mir zusammen. »Verzeiht«, sagte ich automatisch und wollte fragen, ob ihr etwas geschehen sei. Aber mit einer für ihr Alter bemerkenswerten Schnelligkeit huschte sie davon. Ich blickte ihr kopfschüttelnd nach. Ein Verdacht kam in mir auf. Die Alte mochte eine Diebin gewesen sein, die mich absichtlich angerempelt hatte, um mich zu bestehlen. Hastig griff ich in die Taschen meiner Bursarierkutte, die ich aus praktischen Erwägungen noch immer trug. Ich erwartete, dass die wenigen Münzen, die sich darin befanden, verschwunden waren, doch das Gegenteil war der Fall. Ich fand etwas, das vorher nicht da gewesen war. Ein zusammengefaltetes Papier war es, neutral im Aussehen, aber eng beschrieben. Da ahnte ich, dass die vermeintliche Diebin wahrscheinlich die treue Milda gewesen war, und als ich die Zeilen las, wurde meine Ahnung zur

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