Der Medicus von Heidelberg
Hospitalküche, wofür ich allerdings den Kundigen Frauen hier und da zur Hand gehen musste. Doch das war mir nur recht, weil ich auf diese Weise vieles in der Krankenpflege lernte.
Überdies war das Studium umsonst. An der Ruperto Carola wurden keine Gebühren erhoben. Die notwendigen Mittel erlöste die Universität aus Vermächtnissen, Ablassgeldern und Anteilen an Zolleinkünften in Bacharach und Kaiserswerth. Es war, wie man hörte, genug, um davon auch die nicht unbeträchtlichen Professorengehälter zu bezahlen.
Außerdem war ich ein braver Student, was mir manche Geldstrafe ersparte. Durch meine Liebe zu Odilie kam es mir nicht in den Sinn, an lärmenden Straßenaufzügen teilzunehmen, zu würfeln oder mit Karten zu spielen oder mich gar an den beliebten Schweinehatzen durch Heidelbergs nächtliche Gassen zu beteiligen. Auch hielt ich mich an die Kleiderordnung für Studenten, die der ehrenwerte Rektor Friessner anno 1482 erlassen hatte und nach der es verboten war, Schnabelschuhe und Pluderhosen zu tragen.
Doch war das alles wert genug, um niedergeschrieben zu werden?
Ich warf die angefangenen Briefe fort und wäre wieder in meine Melancholie verfallen, wenn sich eines Tages nicht etwas Ungewöhnliches ereignet hätte: Ein Bote überbrachte mir ein Paket mit drei gewichtigen Büchern darin. Es waren die ersten Exemplare meines Werkes
Observationes de peste laborantibus,
und sie waren von meinem Freund Justus Rating de Berka in Erfurt abgeschickt worden. Ein Brief lag dabei, in dem er schilderte, dass mein Werk unter den Professoren der Hierana wohlwollende Anerkennung gefunden habe und dass es für die Aufnahme in der Bibliotheca Amploniana vorgesehen sei.
Welch eine gute Nachricht!
Ich hatte nichts Eiligeres zu tun, als mit einem Exemplar zu Fischel zu laufen und es ihm zu zeigen, denn ich brauchte jemanden, mit dem ich meine Freude teilen konnte. Nachdem er darin geblättert und mit ungewohntem Ernst mein gutes Latein gelobt hatte, gestand ich ihm, dass ich mich mit dem Gedanken trüge, mein Studium aufzugeben.
»Bist du von Sinnen?«, fragte er, und Rahel sagte: »Das darfst du nicht.«
»Aber ich habe keine Freude mehr am Lernen. Ich habe an nichts mehr Freude.«
»Du vergisst das Buch«, entgegnete Fischel und klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Deckel.
»Außerdem«, ergänzte Rahel, »vergisst du, was ich dir einmal gesagt habe: Du musst nur fest an dein Glück glauben.«
»Gewiss, ich weiß«, antwortete ich wenig überzeugt.
Fischel fügte hinzu: »Hast du dir schon einmal überlegt, was passierte, wenn aus dir kein Medicus würde?«
»Was sollte da groß passieren?«, fragte ich mutlos.
»Ich will es dir sagen: Es würde einen großartigen Arzt weniger geben. Und genau an einem solchen großartigen Arzt hätte es uns am Heiligen Abend gefehlt.«
Rahel nickte. »Unser kleiner Simon wäre tot, wenn du ihn nicht operiert hättest. Niemand sonst wäre da gewesen, es zu tun.«
»Das stimmt«, musste ich einräumen.
»Natürlich stimmt das«, sagte Fischel. »Und weil es Fälle wie die unseres kleinen Simon jeden Tag gibt, ist es wichtig, dass du weitermachst.«
Ich räusperte mich. »Nun ja.«
»Versprich es mir«, forderte Rahel.
Beide sahen mich mit großem Ernst an und wirkten dabei so entschlossen, dass ich plötzlich lachen musste. »In Gottes Namen, ja, ich mache weiter.«
»Dem Erhabenen sei Dank! Sein Name sei gepriesen!« Fischel sprang von seinem Stuhl auf und umarmte mich.
Rahel wartete, bis sein Ansturm vorüber war, und hauchte mir einen Kuss auf die Wange.
»Wenn das so ist, bleibt mir wohl gar nichts anderes übrig«, sagte ich verlegen.
Wenig später verließen Schnapp und ich das schmale Haus am Judentor. Das Buch hatte ich dagelassen, mit einer Widmung für meinen Freund Fischel, entnommen aus dem hundertneunzehnten Psalm:
Öffne mir die Augen, dass ich sehe …
An einem Sonntag im November herrschte schon am frühen Vormittag eine ganz eigene Atmosphäre in den alten Mauern des Gebärhauses. Mehrere der Kundigen Frauen huschten an mir vorbei in den ersten Oberstock, Nachrichten wurden hinter vorgehaltener Hand ausgetauscht und mehrere Kessel heißes Wasser aus der Küche im Wirtschaftsgebäude herangeschleppt. Ich hielt eine der Frauen an und fragte, was die Unruhe zu bedeuten habe, aber sie blieb mir die Antwort schuldig.
Kopfschüttelnd zog ich mich in meine Wäschekammer zurück, um die letzten Lektionen von Professor Koutenbruer zu wiederholen.
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