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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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zweifle.«
    »Zweifle nicht.« Rahel lächelte. »Und wenn wir uns wiedersehen, wird es dir bessergehen.«
    »Danke, Rahel«, sagte ich.
    Schnapp und ich verließen das schmale Haus, und ich dachte: Es ist gut, dass Fischel nicht zu Hause war. Einen besseren Rat hätte er mir nicht geben können.
     
    Mein Leben spielte sich fortan ab zwischen dem Gebärhaus, wo ich wohnte, dem Auditorium Medicum, wo ich studierte, und dem Judentor, wo ich Fischel und die Seinen besuchte. Dazwischen gab es nichts. Nur meine Sehnsucht nach Odilie.
    Im April begann das neue Semester. Es war bereits mein viertes, das mich meinem großen Ziel, ein Medicus zu werden, wieder ein Stück näher bringen sollte. Ich hörte bei Professor Koutenbruer mehrere Lesungen über die Kunst der Diagnose, lernte, auf was zu achten war bei der Suche nach den Ursachen der Krankheiten, wie Farbe des Gesichts, der Augen, der Zunge, Geruch des Atems, Fühlen des Pulses, Untersuchung des Harns, des Stuhls, des Schweißes, Haltung des Körpers, Erfragen des Tagesablaufs, der Ess-, Trink- und Schlafgewohnheiten und manches mehr. Ich schrieb alles auf und lernte es wie immer auswendig.
    Doch was nützte mir mein Wissen um die Bedeutung eines gesunden Pulses, wenn ich nicht in der Lage war, ihn zu erfühlen? Rosanna, die Kundige Frau, war es, die es mir beibrachte. Ich war dankbar dafür, dass es sie gab, denn wenn sie nicht gewesen wäre, hätte mir die praktische Erfahrung gefehlt.
    Im Mai sprach Koutenbruer über Operationen und Operationstechniken, denn er sagte, das wäre die Arbeit, die nach der Diagnose anfiele, sofern nicht Arzneien, Aufgüsse oder Aderlässe zur Anwendung kämen. Die Operation sei stets eine handwerkliche Arbeit, vorgenommen durch den Bader, den Wundarzt oder den Prosektor. Als Beispiele führte er die Eingriffe und Maßnahmen bei Hasenscharte, Steinschnitt, Leistenbruch und Wundbrand an. Anatomische Kenntnisse seien für alle diese Operationen vonnöten, und zu den anatomischen Kenntnissen gehöre das Wissen um Herz, Lunge, Leber, Galle, Niere, Milz und Blase, die Kenntnis von Magen und Darm, von Muskeln, Sehnen und anderen Strängen.
    Im Juni, als es sehr heiß war, wählte er leichtere Lektionen. Er sprach unter anderem über die Quacksalber und ihre Methoden, das Volk zu täuschen. Den Narrenstein beispielsweise gebe es nur in der Phantasie der Betrüger, die so taten, als operierten sie ihn bei einem Schwachsinnigen aus der Schädeldecke heraus. Gleiches gelte für das Narrengeschwür, das meistens auf der Stirn säße und als Zeichen für die herausgetretene Dummheit des Trägers verstanden werden sollte. Es sei jedoch nichts als eine täuschend echte Nachbildung, die durch die taschenspielerische Geschicklichkeit des selbsternannten Chirurgen verschwinde. Der peinigende Zahnwurm zu guter Letzt sei etwas, das es ebenfalls nicht gebe. Immer dann, wenn ein Schwindler ein solches Gebilde nach erfolgter Zahn-Extraktion hochhalte, handele es sich in Wahrheit um einen Regenwurm oder einen Mehlwurm.
    Im Juli wandte er sich wieder ernstzunehmenden Themen zu. Er handelte die inneren Erkrankungen ab, besonders den Bluthusten bei schwacher Lunge, die Ruhr bei der Erkrankung des Darms und die Steinleber bei ausgeprägter Trunksucht.
    So ging es Monat für Monat weiter.
    Im September reiste Koutenbruer für mehrere Tage nach Köln zu seiner alten Universität, um sich dort promovieren zu lassen. Als frischgebackener Doktor der Medizin kehrte er zurück und lud zu einem gewaltigen Gelage in sein schönes Haus ein. Ich gehörte zu den wenigen Studenten, die der Ehre teilhaftig wurden, an dem Fest teilnehmen zu dürfen. Wie üblich bei solchen Feiern gab es verschwenderisch zu essen und zu trinken. Wein vom Besten, Nasch- und Zuckerwerk und derlei Köstlichkeiten mehr. Es wurde gelacht, gesungen und getanzt. Doch fiel es mir schwer, den Frohsinn der anderen zu teilen, und ich zog mich frühzeitig zurück.
    Im Herbst war ich kurz davor, das Studium aufzugeben. Was machte das Lernen für einen Sinn, wenn mir das Liebste auf der Welt fehlte! Ich versuchte, mich abzulenken, indem ich an Freunde mehrere Briefe schrieb, in denen ich versicherte, mein Studium mache gute Fortschritte, ich sei gesund, mir gehe es gut.
    In der Tat konnte ich mich nicht beklagen. Nicht zuletzt, weil ich zum ersten Mal während meines Studiums keine Geldsorgen hatte. Dank Koutenbruers Fürsprache wohnte ich umsonst in meiner Wäschekammer und aß auch umsonst in der

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