Der Medicus von Heidelberg
tot ist.
Währenddessen wurden nicht nur Fischel und Rahel immer aufgeregter und verzweifelter, auch Koutenbruer, so schien es. Mir wurde klar, dass der Prosektor nicht kommen und dass mein Professor den lebensrettenden Schnitt nicht durchführen würde. Vielleicht, weil er es nicht konnte, vielleicht, weil er es nicht wagte, im Ergebnis jedenfalls würde es auf dasselbe hinauslaufen. Und das durfte nicht sein. Ich sagte: »Wenn der Junge nicht in den nächsten Minuten zu Atem kommt, stirbt er. Ich werde ihm deshalb die Luftröhre aufschneiden.«
»Nein!«, rief Rahel.
»Doch«, sagte Fischel. Er sah mich an, und ich las in seinen Augen großes Vertrauen.
»Womit wollt Ihr den Schnitt durchführen?«, fragte Koutenbruer. »Ihr habt doch kein Skalpell?«
»Ein kurzes, spitzes Küchenmesser wird es auch tun«, antwortete ich und klang dabei entschlossener, als ich war. »Ich wäre Euch allerdings dankbar, Herr Professor, wenn Ihr mir die Hand führen würdet. Bitte sagt mir, wie ich vorgehen soll.«
»Nichts leichter als das.« Koutenbruer schien auf einmal wie befreit. Er ordnete an, Fischel möge sein Söhnchen rücklings auf den Tisch legen und für möglichst viel Licht sorgen. Eine Rolle aus Tuch geformt solle unter die Schultern geschoben werden, damit der Kopf besser in den Nacken gedrückt werden könne.
Fischel gehorchte. Rahel hatte unterdessen ein Messer von der Feuerstelle geholt und hielt es mir hin. »Ich denke, damit wird es gehen«, sagte ich und blickte Koutenbruer fragend an. Dieser hatte auf dem einzigen Stuhl Platz genommen und nickte. »Gewiss.«
Dann begann er zu dozieren. »Bei dieser Operation ist der Längsschnitt vorzuziehen, damit Gefäße und Nerven geschont werden. Der Schnitt soll unter der dritten Knorpelspange erfolgen, sodann ein Röhrchen eingebracht werden, das nicht zu lang sein darf, um den Kontakt mit der Hinterwand der Luftröhre zu vermeiden.«
»Ein Röhrchen haben wir nicht«, sagte Fischel.
»Vielleicht doch«, entgegnete ich. »Wir nehmen einen Halm aus deinem Strohlager.«
Als auch das besorgt war, rückte ich noch einmal den
Chanukka-
Leuchter zurecht und begann mit klopfendem Herzen meine Arbeit. Das Messer lag fest in den drei Fingern meiner rechten Hand. Vorsichtig setzte ich es an. Ein paar Blutstropfen quollen hervor. Obwohl ich vor gar nicht langer Zeit eine lebensrettende Operation an mir selbst vorgenommen hatte, war dies doch etwas anderes. Es war eine neue Erfahrung, ein Kind zu operieren, es war anders und schwerer, und es kostete mich ungleich mehr Überwindung. Doch es half nichts, ich musste es tun. Entschlossen schnitt ich tiefer ein. Zu meiner Erleichterung blutete die Wunde kaum. Dann, unvermittelt, hörte ich ein Rasseln und Blubbern aus der Tiefe des Halses. Ich hatte die Luftröhre getroffen.
Der kleine Simon gab einen krächzenden Laut von sich. Erlösende Luft drang durch den Schnitt in seine Lungen. Rasch griff ich nach dem Strohhalm und steckte ihn schräg nach unten in die geschaffene Öffnung.
»Zu diesem Zeitpunkt«, hörte ich Koutenbruer hinter mir dozieren, »sollte ein Emplastrum zur Hand sein, in dessen Mitte ein Loch für das Röhrchen – in diesem Falle den Strohhalm – geschnitten wird. Das Arzneipflaster mit dem Loch, durch das der Strohhalm ragt, soll sodann um den Hals gelegt werden, damit der Halm festsitzt.«
»Wir könnten das Pflaster vielleicht selbst herstellen«, schlug Rahel vor. »Ich habe noch ein paar alte Leinenstreifen.«
Nachdem auch dieses Problem gelöst war, atmete der kleine Simon fast schon wieder regelmäßig. Rahel kamen vor Glück und Erleichterung die Tränen, und Fischel erging es nicht anders. Ich selbst war auch sehr gerührt, verwehrte mir aber zu starke Gefühle, denn ich dachte daran, dass der Kampf gegen die Krankheit noch nicht gewonnen war.
Koutenbruer jedoch wusste mich zu beruhigen. »Durch die ausreichende Verbrennung der Atemluft kann wieder genug vitales Pneuma entstehen, eine Voraussetzung für die Kräftigung des Körpers und einen Rückgang des Fiebers«, sagte er. »Innerhalb einer Woche wird Simon wieder gesund sein.« Er stand von seinem Stuhl auf, schickte sich an zu gehen, wurde aber von Fischel zurückgehalten, der ihm eine kleine Münze zustecken wollte.
»Lasst nur«, wehrte er ab. »Wir haben Heiligabend, der Heiland ist heute geboren, wie könnte ich Euch da Geld abnehmen. Geht in die Kirche und sprecht ein Gebet für mich. Das soll genügen.«
Fischel verbeugte
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