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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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fragte ich.
    »Wenn ich das wüsste,
amicus meus.
Unser Kleiner hustet sich die Seele aus dem Leib.«
    Als hätte es eines Beweises bedurft, begann Simon, keuchend zu husten. Fischel versuchte, ihn zu beruhigen, wiegte ihn in den Armen und sprach ein paar jiddische Worte zu ihm, doch es half nichts.
    Ich fürchtete schon, der Kleine würde ersticken, als der Anfall endlich vorüber schien. Simons Köpfchen war dunkelrot angelaufen. Nur rasselnd bekam er Luft.
    »Seit wann hat er das?«, fragte ich.
    »Ich glaube, seit gestern Morgen.«
    »Nein, es begann schon vorgestern Abend«, sagte Rahel. Sie stand neben ihrem Mann und knetete ein nassgeweintes Tuch in den Händen. »Die beiden Nächte hat er durchgehustet. Es ist so schrecklich. Kannst du uns nicht helfen? Du bist doch Arzt.«
    »Ich will es versuchen«, sagte ich, obwohl ich mir recht hilflos vorkam. Ich rückte den
Chanukka-
Leuchter mit den neun brennenden Kerzen näher an Fischel heran und hieß ihn, das Köpfchen seines Sohnes ins Licht zu halten. Vorsichtig öffnete ich den Mund des Kleinen – und fuhr zurück. Süßlich-fauler Geruch schlug mir entgegen. Im Rachen entdeckte ich einen bräunlichen Belag. Das Zäpfchen und seine Umgebung waren zugeschwollen. Als wäre dies alles nicht schon schlimm genug, hatte der Kleine auch hohes Fieber. Er glühte förmlich.
    Fischel sagte: »Rahel wollte gestern schon den Bader holen, aber es fehlte am Geld. Außerdem wussten wir ja, dass du heute kommen würdest.«
    Hättet ihr nur nicht so lange gewartet, wollte ich antworten, aber ich schwieg. Vorwürfe brachten uns nicht weiter. Laut sagte ich: »Nach den Symptomen zu urteilen, hat euer Sohn die Bräune. Es ist eine tückische Fieberkrankheit, bei der die Atemwege sich so sehr verschließen, dass der Patient zu ersticken droht.«
    Rahel unterdrückte einen Schrei.
    Fischel bemühte sich um Haltung. »Was können wir tun?«
    Ich kannte die Antwort. Aber ich war mir nicht sicher, ob sie richtig war. »Ich würde die Diagnose gern bestätigen lassen und Professor Koutenbruer um seine Meinung bitten«, sagte ich.
    »Aber es ist der Heilige Abend«, wandte Fischel ein. »Wird er da kommen?«
    »Er ist Arzt, er hat den Eid des Hippokrates abgelegt. Ich werde ihn holen.«
    »Nein«, sagte Rahel mit plötzlicher Entschlossenheit, »ich werde ihn holen. Es ist mir lieber, wenn du bei Simon bleibst.«
    »Nun gut.« Ich erklärte ihr, wo Koutenbruer wohnte, und trug ihr auf, einen Gruß von mir auszurichten und es dringend zu machen.
    Nachdem Rahel gegangen war, kamen mir Bedenken, denn ich war keineswegs sicher, dass Koutenbruer meinem Ruf folgen würde – vorausgesetzt, er war überhaupt zu Hause. Viele Professoren pflegten zu Weihnachten mit ihren Familien in ihren Heimatort zu fahren, um dort im Kreise der Verwandten das Fest der Liebe zu begehen.
    Doch zu meiner Überraschung verging keine halbe Stunde, und der kleine Gelehrte erschien in Rahels Begleitung. Ich sprang auf und stellte ihm Fischel vor. Dann entschuldigte ich mich, ihn zu so ungewöhnlicher Stunde herbeigebeten zu haben.
    Koutenbruer winkte ab. »Wenn es nicht ernst wäre, hättet Ihr mich nicht rufen lassen. Zeigt mir das Kind.«
    Er untersuchte den kleinen Simon im Schein des
Chanukka
-Leuchters, wie ich es zuvor getan hatte. Dann richtete er sich auf. »Eure Diagnose stimmt, Nufer. Es ist die Bräune.«
    »Und welche Therapie verordnet Ihr, Herr Professor?«
    Koutenbruers Antwort wurde von einem neuerlichen, quälenden Hustenanfall des kleinen Simon unterbrochen. »Den Luftröhrenschnitt.«
    Diese Maßnahme hatte ich erwartet. »Wenn Ihr erlaubt, werde ich Euch assistieren, Herr Professor«, sagte ich.
    Koutenbruer wischte sich mit dem Zeigefinger die Nase, einmal hin, einmal her, und sagte: »Ihr werdet nicht mir, sondern dem Prosektor assistieren, mein lieber Nufer. Bevor ich hierherkam, habe ich rasch nach ihm schicken lassen. Er wohnt nur zwei Gassen weiter und muss jeden Moment eintreffen.«
    Rahel nickte bestätigend.
    Fischel schien ein Mühlstein vom Herzen zu fallen.
    »Dann wollen wir warten«, sagte ich.
    Wir warteten eine halbe Stunde. Dann eine Stunde. Dann eine weitere Stunde. Und in der ganzen Zeit wurde das Husten, Keuchen und Röcheln des kleinen Simon schlimmer und schlimmer. Koutenbruer hatte wiederholt versichert, der Prosektor würde mit Sicherheit kommen, es sei nur eine Frage der Zeit, doch ich dachte im Stillen: Es wird auch nur eine Frage der Zeit sein, bis Fischels Söhnchen

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