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Der Medicus von Saragossa

Titel: Der Medicus von Saragossa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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sein Freund werden könnte.

5. Der Zeuge
    I n der ersten Aprilwoche kam ein Vertreter des alguacil von Saragossa mit der Nachricht zu Jona, daß er als Zeuge vor das städtische Gericht geladen werde, »in einer Sache, die am Donnerstag in vierzehn Tagen verhandelt wird«.
    Am Abend vor der Verhandlung kam Jona nach unten, als Reyna in ihrem langsam abkühlenden Bad vor dem Feuer saß. Er nahm den Kessel vom Haken über den Flammen, und während er heißes Wasser in die Wanne goß, sprachen sie über seine Vorladung. »Es geht um die zwei Jungen«, sagte er.
    Der Fall war bereits im ganzen Bezirk berühmt. An einem Vormittag mitten im Winter waren zwei Knaben, beide vierzehn Jahre alt und seit frühester Kindheit Freunde, wegen eines kleinen Holzpferds in Streit geraten. Die Jungen, Oliverio Pita und Guillermo de Roda, hatten seit Jahren mit diesem Pferd gespielt; manchmal wurde es im Haus des einen, manchmal in dem des anderen aufbewahrt. Es war grob geschnitzt und von keinem besonderen Wert, aber eines Tages stritten sie sich um das Besitzrecht.
    Jeder behauptete, es sei sein Eigentum, das er sehr gern mit seinem Freund geteilt habe.
    Wie so oft bei Jungen, wurde der Streit handgreiflich. Wären sie nur einige Jahre älter gewesen, hätte eine solche Auseinandersetzung in einer Herausforderung und einem Duell geendet, so aber ließen sie lediglich ihrem Groll und ihren Fäusten freien Lauf. Die ganze Sache wurde jedoch schlimmer, als die Eltern von jedem der Jungen behaupteten, das Pferd sei ein Erbstück ihrer Familie.
    Als die beiden sich das nächste Mal trafen, bewarfen sie einander mit Steinen. Oliverio zielte viel besser als sein Gegner und blieb unverletzt, während einige seiner Wurfgeschosse Guillermo trafen, eins davon an der rechten Schläfe. Als dieser mit blutüberströmtem Gesicht nach Hause kam, schickte die erschrockene Mutter sofort nach einem Arzt, und Jona war zum Haus der Rodas geritten, um den Jungen zu behandeln. Der Vorfall wäre wohl mit der Zeit in Vergessenheit geraten, hätte Guillermo sich nicht einige Zeit danach ein Fieber zugezogen, das ihn das Leben kostete.
    Jona hatte den gramgebeugten Eltern erklärt, daß Guillermo an einer ansteckenden Krankheit gestorben sei und nicht an der harmlosen Verletzung, die er einige Wochen zuvor erlitten hatte. Ramiro de Roda jedoch war in seinem Kummer zum alguacil gegangen und hatte Klage gegen Oliverio Pita erhoben mit der Behauptung, die Krankheit sei eine Folge der Kopfverletzung gewesen und Oliverio deshalb schuld an Guillermos Tod. Nun hatte der alguacil eine Anhörung angesetzt, um zu entscheiden, ob der Junge des Mordes angeklagt werden sollte.
    »Es ist eine Tragödie«, sagte Reyna, »und jetzt wird auch noch der Medicus von Saragossa mit hineingezogen.« Sie spürte sehr wohl, daß Jona sich große Sorgen machte. »Aber was hast du in dieser Geschichte der zwei Jungen zu befürchten?«
    »Ich muß eine mächtige Familie Saragossas vor den Kopf stoßen. Wie wir beide wissen, können Ärzte anonym bei der Inquisition angeschwärzt werden. Ich bin nicht eben erpicht darauf, mir die Rodas zu Feinden zu machen.«
    Reyna nickte. »Und du wagst es auch nicht, dich dem Befehl des alguacil zu widersetzen?«
    »Nein. Außerdem geht es darum, daß der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Mir bleibt nur eine Möglichkeit.« »Und die wäre?« fragte Reyna und seifte sich den Arm ein. »Ich muß vor Gericht auftreten und die Wahrheit sagen«, entgegnete Jona.
    Die Anhörung wurde in einem kleinen Sitzungssaal im Obergeschoß des Rathauses abgehalten, der bereits überfüllt war, als Jona eintraf.
    Jose Pita und seine Frau Rosa Menendez sahen Jona direkt an, als er den Saal betrat. Sie waren bald nach Klageerhebung gegen ihren Sohn zu ihm gekommen und hatten ihm die Lage der Dinge erklärt, so wie sie sie sahen.
    Der Junge Oliverio Pita saß alleine und starrte mit großen Augen den ernst und geschäftsmäßig dreinblickenden Richter an, der ohne weitere Verzögerung die Sitzung eröffnete, indem er mit seinem großen Amtsring auf den Tisch klopfte.
    Alberto Porreno, der Kronanwalt, den Jona flüchtig kannte, war ein kleiner Mann, dessen Kopf dank einer dichten Mähne schwarzer Haare größer wirkte, als er tatsächlich war. Er rief Ramiro de Roda als seinen ersten Zeugen auf.
    »Señor Roda, Euer Sohn Guillermo de Roda starb im Alter von vierzehn Jahren am 14. Februar im Jahre des Herrn 1508?«
    »Ja, Señor.«
    »Woran starb er, Señor?«
    »Er wurde

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